: Ohne Betriebsrat läuft nix
Was tun gegen Umstrukturierung, Zerstückelung oder massiven Personalabbau? Quer durch alle Branchen werden Belegschaften und Betriebsräte zunehmend mit Betriebsänderungen konfrontiert
Von KLAUS BERTELSMANN
Betriebsstilllegungen, Umstrukturierungen oder massiven Personalabbau gibt es seit Jahrzehnten. Seit einigen Jahren ist jedoch zu konstatieren, dass dies inzwischen alle Branchen betrifft – entweder, weil ökonomische Verschlechterungen die Anpassung an die neue Situation erfordern, oder aber, weil Arbeitgeber die momentane wirtschaftliche Lage dazu nutzen, ihre Unternehmen auf Kosten der Beschäftigten besser zu positionieren. So greifen aktuell Firmen wie die Allianz-Versicherung, die Hamburger Alumimumwerke, Jil Sander, Phoenix, Spar, Unilever, Karstadt und selbst die taz zum Mittel der so genannten Betriebsänderung.
Diese kann nach § 111 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) in vielen Formen vorkommen. Als Betriebsänderung gelten Verlegung, Zusammenschluss oder Zerstückelung von Betrieben, die grundlegende Änderung der Betriebsorganisation oder die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden, ja selbst die Stilllegung wesentlicher Betriebsteile oder gar des gesamten Betriebs. Die häufigsten Fälle sind die Zerstückelung oder die Einschränkung durch Personalabbau.
Der Betriebsrat
Entscheidend für die Rechte der Beschäftigten ist es, ob ein Betriebsrat besteht oder nicht. Eine Stilllegung beispielsweise ist die Möglichkeit für Arbeitgeber, ohne Zahlung jedweder Abfindung ihren Betrieb aufzugeben. Die Situation ist nur dann anders, wenn es eine Arbeitnehmervertretung gibt: Nur ein Betriebsrat hat die Möglichkeit, mit dem Arbeitgeber über Betriebsänderungen zu verhandeln, einen Interessenausgleich anzustreben und einen Sozialplan gegebenenfalls auch zu erzwingen.
Der Interessenausgleich
Bevor eine Betriebsänderung umgesetzt wird – zum Beispiel durch Kündigungen oder Versetzungen –, muss der Arbeitgeber einen „Interessenausgleich“ versuchen. Dieser regelt das Ob und Wie: ob also überhaupt etwas geschieht, in welcher Form die Betriebsänderung letztendlich umgesetzt wird, wie die Zeitplanung aussieht, welche Stellen betroffen sind ...
Diese für die Betriebsratsseite sehr wichtige Regelungsmöglichkeit hat leider den Nachteil, dass nur die Verhandlungen über den Interessenausgleich erzwungen werden können, nicht aber der Interessenausgleich selbst. Der Gesetzgeber hat hier dem Arbeitgeber das Alleinentscheidungsrecht gegeben.
Können sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht über den Interessenausgleich einigen, kommen sie danach im Regelfall in einer Einigungsstelle unter dem Vorsitz einer neutralen Person – meist ein Arbeitsrichter oder eine Arbeitsrichterin – zusammen. Einigt man sich auch dort nicht über einen Interessenausgleich, wird das Scheitern der Verhandlungen festgestellt – der Arbeitgeber kann anschließend seine Maßnahmen einseitig durchziehen.
Allerdings: bevor die Verhandlungen nicht gescheitert sind, darf der Arbeitgeber im Regelfall mit der Betriebsänderung nicht beginnen. Falls er dennoch versucht, zum Beispiel Kündigungen einzuleiten, kann dies durch den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verhindert werden – zumindest nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamburg. Dies hatte auch das Wegschaffen von Produktionsmitteln als Beginn der Umsetzung – bei den Phoenix-Werken Ende 2004 versucht – per einstweiliger Verfügung gestoppt.
Der Sozialplan
Regelt der Interessenausgleich die Frage, was im Betrieb verändert werden soll, so regelt der Sozialplan die Auswirkungen dieser Änderung auf die Arbeitnehmer. In ihm werden unter anderem die finanziellen Auswirkungen bei Versetzungen geregelt, Abfindungen zur Abmilderung für den Verlust des Arbeitsplatzes oder auch die Ausstattung einer Transfergesellschaft festgelegt. Alles, was in Geld messbar ist, fällt unter den Sozialplan.
Der Sozialplan ist – im Gegensatz zum Interessenausgleich – erzwingbar. In dem Fall, dass freie Verhandlungen nicht zum Abschluss eines Sozialplans führen, muss eine Einigungsstelle entscheiden. Diese ist berechtigt, auch die Höhe von Abfindungen durch Beschluss festzusetzen.
Der Schlichter
Der Einigungsstelle kommt sowohl für den Interessenausgleich als vor allem auch für den Sozialplan eine wichtige Rolle zu. Gerade beim Sozialplan ist sie die Institution, die über dessen Ausstattung, also insbesondere die Höhe von Abfindungen, entscheidet. Verständlich, dass unter diesen Umständen immer sehr darüber gestritten wird, wer Vorsitzender einer Einigungsstelle werden soll. Dies ist im Regelfall eine Arbeitsrichterin oder ein Arbeitsrichter. Allerdings sind auch RichterInnen vorgeprägt oder haben einen bestimmten Ruf bei der einen oder anderen Seite, was dann auch Auswirkungen auf die Verhandlungen haben kann.
Einigt man sich nicht auf einen Vorsitzenden, kann jede Seite dessen gerichtliche Einsetzung nach § 98 Arbeitsgerichtsgesetz beantragen. Das Arbeitsgericht setzt dann so schnell wie möglich einen Vorsitzenden ein, gegen den Beschluss ist noch die Beschwerde vorm LAG möglich. Dieses entscheidet dann endgültig, wer den Vorsitz übernehmen soll.
Die Einigungsstellen
Zur Klarstellung: Die „Einigungsstelle Interessenausgleich“ endet entweder durch Einigung oder durch Scheitern – in diesem Fall hat der Arbeitgeber für seine Maßnahmen freie Hand.
Die „Einigungsstelle Sozialplan“ endet entweder durch Einigung oder durch Verabschiedung eines Sozialplans durch Schiedsspruch. Bei ihrer Entscheidung hat die Einigungsstelle sehr großes Ermessen: Es ist gesetzlich nicht vorgegeben, ob die Abfindung 0,75, 1,12 oder auch nur 0,55 Bruttomonatsgehälter pro Beschäftigungsjahr betragen soll, wie Betriebszugehörigkeit oder Alter zu berücksichtigen sind, wie hoch Kinderzuschläge sein sollen oder ob eine besondere Berücksichtigung von Schwerbehinderten erfolgt. Allerdings hat die Einigungsstelle in ihrem Ergebnis die wirtschaftliche Situation der Firma und die Interessen der Beschäftigten untereinander abzuwägen.
Die Konsequenzen
Ist das Ergebnis einvernehmlich vereinbart worden, ist der Sozialplan als Betriebsvereinbarung anzuwenden. Bei einem Einigungsstellen-Schiedsspruch ist der dort verabschiedete Sozialplan im Prinzip endgültig, er kann jedoch unter zwei Voraussetzungen angegriffen werden: Entweder die Einigungsstelle hat unzulässige Rechtsfehler begangen oder aber sie hat zwar rechtlich zulässig entschieden, jedoch das ihr zustehende Ermessen grob fehlerhaft gehandhabt. Dann sind Anfechtungen innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Einigungsstellen-Beschlusses möglich.
Anfechtungen von Sozialplänen sind durchaus nicht selten, da hier Arbeitgeber häufig versuchen, entweder den beschlossenen Sozialplan neu zu verhandeln, um ihn geringer ausfallen zu lassen, oder aber die Zahlungen zinsfrei hinauszuschieben.
Die Fachberatung
Verhandlungen von Betriebsräten um Betriebsänderungen sind inhaltlich oft sehr schwierig und sehr geprägt von taktischen Erwägungen. Nur selten wird ein Betriebsrat im Stande sein, solche Gespräche allein zu führen. In der Regel werden die Verhandlungen deshalb von der Gewerkschaft oder aber von Rechtsanwälten begleitet, manchmal auch zudem von einem wirtschaftlichen Sachverständigen. Nur so kann versucht werden, eine gewisse Gleichgewichtigkeit der Chancen zu gewährleisten.
Der Autor ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg