Liebe deine nächsten – aber nur, wenn sie so sind wie du
: Rechte Menschen und Menschenrechte

Zu hause bei Fremden

von Miguel Szymanski

Zwei Studenten stoßen in einem öffentlichen Lokal in Lissabon auf die Freiheit an, küssen sich und werden deswegen festgenommen. Ein englischer Rechtsanwalt liest in einen Nachrichtenmagazin über den Übergriff der portugiesischen Polizei zu Zeiten der Diktatur und gründet ein Jahr später eine Menschenrechtsorganisation. So erinnert sich der Anwalt Peter Benenson an seine Motivation, Amnesty International (AI) zu gründen. Fünfeinhalb Jahrzehnte später können Menschen in Lissabon, London oder Berlin ohne Angst ihre bürgerlichen Freiheiten zelebrieren, sich in der Öffentlichkeit küssen und ihre sexuellen Präferenzen offen bekennen.

Gefährlich kann es laut dem Anfang Juni veröffentlichten Bericht von AI aber werden, wenn die jungen Menschen Ausländer sind und sich in einem Flüchtlingsheim in Deutschland aufhalten: „Im ersten Jahresdrittel 2016 meldeten die Behörden 347 rassistisch motivierte Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte“, schreibt die Menschenrechtsorganisation in ihrem Bericht „Leben in Unsicherheit – Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt“. Laut Bundeskriminalamt wurden im letzten Jahr mehr als 1.000 Anschläge auf Asylunterkünfte verübt, etwa 90 Prozent dieser Attacken hätten nachweislich einen rechtsradikalen Hintergrund, sagt das BKA.

Es gibt im Krieg dieser Bürger zwei Fronten: Einheimische gegen Flüchtlinge. Es sind aber nicht, wie in der arabischen, türkischen, persischen oder indonesischen Presse verbreitet, deutsche Christen gegen Muslime. Es sind rechte Menschen gegen Menschenrechte.

Fremde sind ihre Zielscheiben. Flüchtlinge und Flüchtlingsheime sind Projektionsflächen von Hass, Vorurteilen, Aggressionen und Brandbomben. Rechte und selbstgerechte Menschen heißen wohl so, weil sie Rechte für sich selbst beanspruchen und diese nicht mit anderen – im Sinne von Menschen, die anders aussehen – teilen wollen.

Diese Entwicklung nährt sich in den letzten Jahren selbst in einer Spirale: Rechte Menschen richten ihre Wut gegen Flüchtlinge und die Islamophobie selbst wird zum Verkaufsschlager der Medien. Während die meisten meiner muslimischen Freunde genau so muslimisch sind wie ich christlich (letzte Teilnahme an einem Gottesdienst im letzten Jahrtausend), zeigen die meisten Beiträge der öffentlich-rechtlichen Sendungen Terrorismus, Fanatismus, Fundamentalismus und Intoleranz permanent im Kontext des Islam.

Ein rechtsradikaler Islamhasser und Christ tötet in Norwegen 77 Menschen, aber wir wissen: Im Grunde ist er nur ein Verrückter. Ferngesteuerte Drohnen töten Tausende unschuldige Menschen und wir wissen, dass sind keine christlichen Waffen, sondern es ist lediglich der normal funktionierende Apparat der westlichen Politik.

Der Massenmord diese Woche in Orlando – es hätte in London oder Berlin sein können – ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wieder in einem Atemzug über eine Weltreligion und Terrorismus berichtet wird, diesmal mit der verschärfenden Zutat der sexuellen Intoleranz. Die Verdammung der Homosexualität durch islamische Geistliche wird in den Medien und in den sozialen Netzen als Zeichen einer mittelalterlich rückständigen Einstellung dargestellt und kaum jemand scheint sich zu erinnern, dass Schwule in Europa bis weit in die 60er (England), in die 70er (Deutschland), 80er (Schottland, Irland) und die 00er (Katholische Kirche) offiziell als Straftäter oder Kranke galten. Im Alten und im Neuen Testament steht auf Homosexualität die Todesstrafe.

Die Aufforderung „Liebe deinen Nächsten“ könnte den falschen Eindruck erwecken, Schwulenfreundlichkeit und Promiskuität gehörten zur christlichen Doktrin.