Schwarzfahrer sind Dutzendware

Die BVG hat stets bestritten, dass Kontrolleure Fangprämien kassieren. Die Beschäftigten der privaten Firma GSE bekommen einen Zuschlag, aber nur, wenn sie 12,5 Schwarzfahrer pro Tag erwischen

„Eigentlich sind wir Kopfgeldjäger“

VON ULRICH SCHULTE

„Kopfprämie“, das klingt brutal und passt nicht recht zum kundenfreundlichen Image, das sich die BVG zu geben sucht. Als prügelnde Kontrolleure in der Vergangenheit für Aufruhr sorgten, stritt das Unternehmen deshalb immer ab, dass das Gehalt der gestressten Mitarbeiter beauftragter Sicherheitsfirmen von Fangquoten abhängt. Nach taz-Informationen erhalten die Kontrolleure der privaten Sicherheitsfirma GSE Protect Berlin mbH aber durchaus eine Zulage, die sich an der Zahl der Erwischten orientiert.

Die Firma zahlt ihren Leuten einen Bruttostundenlohn von 5,52 Euro. Laut Arbeitsvertrag, der der taz vorliegt, erhalten die „Mitarbeiter mit Kontrollberechtigung“ eine Zulage von 1,02 Euro pro Stunde. In dem Papier betont die Sicherheitsfirma, der Aufschlag sei „freiwillig und jederzeit widerrufbar“.

Nicht ohne Grund formuliert die GSE so vorsichtig. Denn nach Aussagen mehrerer Mitarbeiter gilt für die Zulage intern eine brisante, mündlich getroffene Vereinbarung: Nur wer am Monatsende einen Durchschnitt von mindestens 12,5 erwischten Schwarzfahrern je Arbeitstag vorweisen kann, kassiert die volle Summe. Wer einen Schnitt von 10 schafft, bekommt die Hälfte, also 51 Cent pro Stunde. Erfolglosen Kontrollettis, die unter einem Schnitt von 10 bleiben, streicht die GSE die Zulage komplett.

Außerdem gibt es laut Mitarbeiteraussagen Tagesgratifikationen, die den Kontrolleuren eine Aufstockung ihres mageren Grundgehalts ermöglichen. Einen besonders erfolgreichen Tag mit 18 erfassten Schwarzfahrern honoriert die Firma, indem sie eine Stunde mehr Lohn bezahlt. 20 erfasste Schwarzfahrer an einem Tag bringen zwei Stundenlöhne mehr.

Schon im vorigen Jahr wurde bekannt, dass Kontrolleure früher Feierabend machen dürfen, wenn sie eine bestimmte Tagesquote erreicht haben. „Wer in einer Schicht 17 Leute ohne Ticket erfasst hat, ruft beim Teamleiter an und kann in der Regel nach Hause gehen“, bestätigt ein Kontrolleur. Ein Zweier-Team brauchte also 34 Feststellungen.

Der Druck, möglichst vielen Leuten ohne gültiges Ticket eine Strafe aufzubrummen – im Kontrolleursjargon: „EBEs zu bringen“, also „Erhöhtes Beförderungsentgelt zu erheben“ –, ist bei den dürftigen Gehältern beträchtlich: „Eigentlich sind wir Kopfgeldjäger“, sagt ein GSE-Mitarbeiter. „Die Teamleiter treiben gerade die Neulinge in der Probezeit an. Ihnen kann jederzeit gekündigt werden, wenn sie die Zahlen nicht bringen.“

Bei der BVG zeigt man sich von solchen Entlohnungspraktiken überrascht: „Das wussten wir nicht“, sagt Sprecher Klaus Wazlak. Für die Verkehrsbetriebe sei entscheidend, dass die Privaten Löhne nach Tarif zahlten. Bewerten wollte der Sprecher das Prämiensystem nicht: „Wir kommentieren nicht, wie die Firma ihre internen Belange mit Mitarbeitern regelt.“ Die BVG macht ihrerseits den Privatfirmen Druck. Im Jahr 2004 mussten die GSE und die Wachschutzgesellschaft, die seit 2002 in einer Arbeitsgemeinschaft für die Verkehrsbetriebe kontrollieren, 700.000 erhöhte Beförderungsentgelte vorlegen. Mehreinnahmen für die BVG: 4,6 Millionen Euro.

Jeden Tag sind 130 private Kontrolleure in U-Bahnen und Trams unterwegs, zusätzlich patrouillieren 75 – wesentlich besser bezahlte – BVG-Angestellte. Offenbar haben sie eine abschreckende Wirkung: Während 2004 noch 5 bis 6 Prozent der kontrollierten Fahrgäste kein gültiges Ticket vorweisen konnten, seien es in diesem Jahr nur noch 3 Prozent, sagt BVG-Sprecher Klaus Wazlak.

Die Sicherheitsfirma GSE Protect, Gesellschaft für Sicherheit und Eigentumsschutz Verwaltungs mbH, hat ihren Hauptsitz in Potsdam und ist mit Standorten in ganz Deutschland vertreten, auch in Berlin. Sie beschäftigt laut Internetseite rund 1.400 Mitarbeiter, der Umsatz lag 2004 bei 24,1 Millionen Euro.

Der Vorsitzende des GSE-Gesamtbetriebsrats, Ulli Vogler, weiß nach eigener Aussage nichts von einer Staffelung der Zulage nach erwischten Schwarzfahrern. „Das wäre mir neu. Ich würde das ins Reich der Illusionen verweisen.“ Die Zulage habe mit einer Fangquote nichts zu tun, so Vogler. Vielmehr werde sie gezahlt, weil Kontrolleure mehr leisten müssten als andere Mitarbeiter und Schulungen absolviert hätten. „Sie sind Ansprechpartner für die Reisenden, sie sorgen für Ordnung, Sicherheit und Ruhe im Nahverkehr.“

Die GSE-Geschäftsführung wollte sich trotz mehrfacher Nachfrage nicht zur Entlohnung der Ticketkontrolleure äußern. Bei bestimmten Themen den Mund zu halten ist bei der GSE offenbar üblich. Laut „Verschwiegenheitserklärung“ im Arbeitsvertrag dürfen Kontrolleure über Betriebsgeheimnisse nicht reden, auch nicht mit Familienangehörigen, und vor allem: auch nicht nach Ausscheiden aus der Firma. Bei der GSE ist lebenslanges Schweigen also Pflicht.