Für Energiesparmuffel gibt es kein Pardon
Umweltbundesamt-Chef will mehr Klimaschutz: Mietspiegel sollen anders berechnet, Fernseher neu designt werden
BERLIN taz ■ Im Klimabericht des Umweltbundesamtes heißt der erste Satz: „Der Klimawandel verläuft dynamischer als erwartet.“ Einerseits. „Andererseits hinkt die Klimapolitik dem Kenntnisstand weit hinterher“, sagte Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA). Er stellte „21 Thesen zur Klimapolitik des 21 Jahrhunderts“ vor. Und er machte klar: „Langsam wird es eng.“
Sechs Thesen hob Troge hervor. Erstens käme die Modernisierung von Häusern, um dem Energieverbrauch zu senken, nicht in Schwung. Troge: „Wenn wir so weitermachen, sind viele Gebäude untergegangen, bevor sie modernisiert werden.“ Die lahme Erneuerung liege an einem Konstruktionsfehler: „Während die Mieter per sinkender Heizrechnung Nutznießer sind, gehen die Hausbesitzer, die Investoren, leer aus.“ Troge schlägt deshalb vor, neue Anreize zu schaffen – und statt der Kaltmiete zum Beispiel die Warmmiete in die Mietspiegel-Berechnung einzubeziehen.
Zweitens forderte Troge die Ökosteuerausnahmen für stromintensive Industrien aufzuheben. „Nur so entsteht der Drang, Energie zu sparen.“ Drittens will der UBA-Chef den Emissionshandel ausweiten. Firmen, die zu viel Klimagase ausstoßen, müssen Verschmutzungsrechte kaufen. Das System ist bislang aber so angelegt, dass der Ausstoß von Klimagasen bis 2008 nur um 8 Prozent sinkt.
Viertens sorgt sich Troge um die Energieverschwendung durch den Stand-by-Betrieb. „Vier Milliarden Euro Stromkosten zahlen die Verbraucher jedes Jahr nur, weil ihr Fernseher oder die Hifi-Anlage keinen Ausschalter besitzen.“ Fünftens will Troge der Autoindustrie verbindliche Grenzwerte für den Spritverbrauch vorzuschreiben. Bisherige Selbstverpflichtungen der Industrie hätten nichts gebracht. Schließlich will Troge auch mehr Biolandbau. Ökobauern verbrauchten je Hektar nur 40 Prozent der Energie, die konventionelle Bauern für intensive Landwirtschaft benötigten.
Für die kommende Regierung gibt es also viel zu tun. Die große Koalition dürfe „nicht unter den Klimazielen der alten Regierung bleiben“, sagte Troge. Schon im November ist die nächste Weltklimakonferenz, auf der sich Deutschland positionieren muss. Mit der EU hatte der scheidende grüne Umweltminister Jürgen Trittin bereits ein neues Ziel abgestimmt. Die Bundesrepublik will demnach ihren CO2-Ausstoß im Vergleich zum Jahr 1990 um 40 Prozent bis 2030 reduzieren – wenn die EU sich verpflichtet, 30 Prozent weniger Treibhausgas auszupusten.
Troge machte klar, dass schnell gehandelt werden muss: „Wollen wir die große Katastrophe verhindern, darf die Erde im Vergleich zum vorindustriellen Niveau nicht mehr als zwei Grad wärmer werden.“ Vermieden werde das aber nur, wenn die Kohlendioxid-Konzentration der Erdatmosphäre nicht über 400 Teile je 1 Million Teile Luft steige. Allein: „Wir sind heute schon bei 370“, sagte Troge. Und weil Kohlendioxid einige Jahre brauche, bis es in der Atmosphäre ankomme, werde die magische 400-Grenze sicher überschritten.
„Ein Umweltminister Sigmar Gabriel kann sich am besten mit Klimaschutz profilieren“, sagt Troge über seinen potenziell neuen Dienstherren von der SPD. Das Umweltbundesamt untersteht dem Bundesumweltminister. Troge gibt sich kollegial: „Ich halte Gabriel für derart durchsetzungsfähig, dass er auch in anderen Ressorts Gehör findet.“ NICK REIMER
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