piwik no script img

Archiv-Artikel

KUNST

schaut sich in den Galerien von Berlin um

MARCUS WOELLER

Ein gewisser Michael musste sich 1974 in einem Lied noch anmeckern lassen, weil er den Farbfilm für den Hiddensee-Urlaub vergessen hatte. Bald werden wir unseren Kindern erklären müssen, was überhaupt dieser Farbfilm war und dass Farbfotos aufwendig abgezogen wurden statt nur schnöde ausgedruckt. Kein Wunder, dass kurz vor dem Aussterben des fotochemischen Negativfilms immer mehr Pioniere, Meister und Exzentriker der analogen Farbfotografie wiederentdeckt werden. William Eggleston ist nach vielen Ausstellungen während der letzten Jahre inzwischen eine Legende, Saul Leiter wurde in diesem Jahr in den Hamburger Deichtorhallen gefeiert, C/O Berlin zeigt momentan eine große Retrospektive von Joel Sternfeld. Der Kunstmarkt stellt außerdem noch viele Namen aus der zweiten und dritten Reihe vor. Die Galerie Kai Heinze präsentiert zurzeit die Ausstellung „Some Pictures“ mit Aufnahmen des amerikanischen Künstlers Joe Maloney, der in Deutschland bisher kaum bekannt sein dürfte. Die üblichen Themen der „New Color Photography“ finden sich auch in seinen Bildern: Landschaften, Kleinstädtisches, häusliche und automobile Lebenswelten, All-American-Boys mit Sonnenbrand. Interessant machen Maloneys Werke neben dem nostalgischen Blick in die Siebzigerjahre vor allem seine experimentelle, aber handwerklich virtuose Aufnahme- und Studiotechnik. Weil wir das, was wir sehen, farblich wahrnehmen, aber das Kolorit in unserer Erinnerung verblasst oder sich intensiviert, stellt Maloney die Farbe selbst in den Mittelpunkt seiner Fotografie. Mit Konversionsfiltern und bewusst falsch eingesetzten Spezialfilmen beeinflusst er die Farbtemperatur. Mit dem Dye-Transfer-Verfahren und Reliefdrucken übersättigt er die Artifizialität seiner Fotos, obwohl er doch immer die Wirklichkeit im Auge behält (Charlottenstr. 2, bis 5. Januar 2013). Manieriert kann man auch Sabine Reitmaiers Fotoserie „Not comme les autres“ nennen, die in der Galerie Cinzia Friedlaender zu sehen sind. Die Künstlerin inszeniert jedoch nicht mit technischen Mitteln, sondern lässt Modelle posieren. Im Auftrag der Zeitschrift Psychologie heute. Sobald die Cover-Bilder von Magazintitel, Schlagzeile und Inhaltshinweisen befreit sind, tritt diese Pose in den Fokus und entwickelt eine eigentümliche Dynamik. Sehen wir intime Porträts affektierter Menschen? Werden hier klinische Phänomene dokumentiert? Oder nur Emotionen vorgespielt? Auch Reitmaier spielt sehr bewusst mit der Farbe. Ihre Modelle setzt sie vor einen vollflächigen, einfarbigen Hintergrund. Der technische Begriff Farbtemperatur bekommt damit eine eindeutig psychologische Bedeutung (Potsdamer Str. 105, bis 2. Februar 2013).