Der Tannenbaum und etwas Trotz

WEIHNACHTSMUSIK Ob man nun das Orchester der Diözese des Papstes schätzt oder doch eher den Dosenbier-Punk: Weil es das Fest der Liebe ist, soll auch wirklich keiner sagen können, man hätte nicht musikalisch gesorgt für ihn

Wenn im Winter Peter and the Test Tube Babies gen Deutschland reisen und dabei in Berlin Station machen, dann darf man sich sicher sein, dass bald schon Weihnachten ist. Auch in diesem Jahr, wenn die englischen Punkrocker am Freitag im Lido mal wieder in der Stadt sind, sind es nur noch wenige Tage zum Fest. Traditionen haben halt etwas Verpflichtendes.

■ Peter and the Test Tube Babies: Lido, Cuvrystr. 7. Freitag, 20 Uhr. 20 Euro

VON THOMAS MAUCH

Um mal von etwas anderem zu reden. Etwas Zeitflüchtiges vielleicht und nicht ganz so Naheliegendes. Also zum Beispiel vom Sommer, der ja auch immer wieder seine Hits hat.

Kaufen kann man so einen Sommerhit zum Beispiel im Plattenladen. Und wenn man sich in so einem Geschäft mal umschaut, wird man schnell erkennen, dass es sich dabei durchaus um einen Ort unbedingter Zeitgenossenschaft handelt, die beständig aktualisiert wird. Neue Angebote werden eingeräumt, die aktuellen Hits für den schnellen Greifreflex der Kunden nach vorn gestellt, die musikalischen Altlasten werden still entsorgt.

Immer steht man in einem Plattenladen deswegen also präzise in der Jetztzeit. Und weiß dennoch nicht, was der Kalender eigentlich gerade geschlagen hat. Dafür muss man schon weiterhin aus dem Fenster schauen, um zu sehen, ob da draußen nun der Frühling angesagt ist, der Sommer oder bereits doch der Herbst. Im Angebot eines Plattenladens bildet sich das nicht ab. Zwar hat man es bei Musik durchaus auch mit verderblicher Ware zu tun, aber wirklich angeschlossen an saisonale Zyklen ist sie gemeinhin nicht.

Beste Wiederverwertung

Weil aber jede Regel ihre Ausnahme kennt, wird wenige Wochen vor einem markanten Fest auch in den Plattenläden wieder umgeräumt. Um Platz zu schaffen für das, was man wohl als das Gegenstück zum Sommerhit bezeichnen muss. Und damit ist man doch wieder bei Weihnachten gelandet. Ein besonderer Festtag auch für den Einzelhandel. Mit dem Vorteil einer relativen Planungssicherheit. Denn im Gegensatz zum schwer zu kalkulierenden Sommer mit seinem nur möglicherweise anfallenden Hit kann man verlässlich davon ausgehen, dass Weihnachten tatsächlich kommt. Jedes Jahr. Immer.

Das schafft eine prima Plattform für die beständige Wiederverwertung. Dass es zum Beispiel das von Irving Berlin komponierte „White Christmas“ in der klassischen Version mit Bing Crosby mit fünfzig Millionen verkauften Singles zur wahrscheinlich meistverkauften Single überhaupt schaffte, liegt ja eben an dieser jährlich neu geschürten Nachfrage, die auch mit einer beständigen Umverpackung der altvertrauten Lieder in neue Sampler gestillt wird. Frisch aufgelegt wurden für diese Saison zum Beispiel „Die schönsten Weihnachtshits aller Zeiten“ (ein Titel, der immer geht), unter anderem mit einer „O Tannenbaum“-Version des Orchesters der Diözese des Papstes und „Süßer die Glocken nie klingen“ von Andrea Berg.

Sowieso gibt es für jeden musikalischen Geschmack eine passgenau geschneiderte Weihnachtsmusik. Selbst aus den Nischen heraus, in denen man so ein Bedürfnis gar nicht unbedingt vermuten würde, wie etwa beim Berliner Feinelektroniker-Label Karaoke Kalk, wo gerade so ein zurückhaltendes und mit den Fingerspitzen eingespieltes „Christmas Album“ von The National Jazz Trio of Scotland’s erschienen ist.

Jedes Jahr findet sich auch ein Promi, der mit einem neuen Weihnachtsliederalbum aufwartet. In diesem Jahr ist das Rod Stewart mit „Merry Christmas, Baby“.

Und tatsächlich wird das Zeug auch gekauft. „Das läuft wirklich sehr sehr gut“, weiß man zum Beispiel bei Dussmann, wo es besagtes Weihnachtsalbum von Rod Stewart in den Adventstagen in die Top Five der hauseigenen Verkaufscharts schaffte im Pop, neben der aktuellen Ware von Neil Young, Brian Ferry, Paul Kalkbrenner und Chilly Gonzales. Beim Jazz finden sich sogar gleich zwei weihnachtlich gestimmte Beiträge unter den bestverkauften Alben: Nils Landgrens „Christmas with My Friends III“ und Michael Bublés „Christmas“, der Topseller im vergangenen Jahr, den halt auch beim diesjährigen Fest wieder viele musikalisch um sich haben wollen.

Wie es der Brauch will

Wobei so ein Kauf eines Weihnachtsalbums natürlich noch lange nicht heißen muss, dass sich die Leute diese Musik auch wirklich anhören.

Ein spezielles Angebot in der Kategorie des weihnachtlichen Liedes sind dann die Anti-Weihnachts-Lieder. So viel Trotz muss schon sein. Besonders beliebt sind sie bei Punkbands. „I’m Getting Pissed For Christmas“ singen zum Beispiel herzlich sauffreudig Peter and the Test Tube Babies (Werbemotto: „Punk Rock since 1978“).

Immer kurz vor Weihnachten schaut die im englischen Peacehaven gegründete Band auf ein Konzert in Berlin vorbei.

So will es einfach der Brauch.