: Mein Kind ist geiler als dein Kind
FIL Über die Feiertage präsentiert Fil im Babylon Mitte „Das Beste aus 20 Jahren“. Es werden viele Klassiker zu hören sein, die Gefahr der Langeweile besteht allerdings nicht: Dafür improvisiert Fil zu wild
VON THOMAS WINKLER
Sharkey sieht die Sache vermutlich so: besser spät als nie. Erst zur Zugabe kriegt er doch noch seinen großen Auftritt. Das muss man nutzen, da muss man sich ranhalten. Also übernimmt er die Chose. Degradiert diesen glatzköpfigen Typen zum Nebendarsteller, schließlich hat der offensichtlich nicht das geringste bisschen Talent zum Bauchredner. Scheiße, man hat’s schon schwer als Hai.
Eine Zeit lang hatte Der schlaue Fil seinen Kompagnon Sharkey aus seinem Bühnenprogramm verbannt. Die kleine, graue, aber selbstbewusste und schlagfertige Handpuppe schien ihrem Erfinder und Dompteur bisweilen den Rang abzulaufen. Der eine drohte zum größeren Star zu werden, der andere wurde neidisch. Aber Fil weiß, was er seinem Publikum schuldig ist. Ein Programm, das sich „Das Beste aus 20 Jahren“ nennt, wäre nicht komplett ohne den alten Kumpel Sharkey. Allerdings waren bei den Auftritten im Mehringhof-Theater im November die Spannungen zwischen den beiden nicht zu übersehen.
Tatsächlich ist es ja so: Das, was Philip Tägert auf der Bühne als Fil veranstaltet, ist weitgehend improvisiert und garantiert ungeübt. Es ist zwar Programm, jeden Anflug von Professionalität zu vermeiden. Aber im reifen Alter von 46 Jahren hat Fil seine sehr spezielle Form der nicht perfekten Bühnenkunst so perfektioniert, dass eine Figur wie Sharkey nicht nur ein Eigenleben entwickelt, sondern tatsächlich lebendig wird. Man lacht nicht nur über den Handpuppenhai, sondern fühlt irgendwann mit, wenn das keifende, krächzende Stück Stoff an der Dämlichkeit seines Herrn und Meisters verzweifelt.
Deshalb wird man auch sehen müssen, ob sich Sharkey bei den weiteren Aufführungen von „Das Beste aus 20 Jahren“ tatsächlich in die Zugabe verbannen lässt. Der hat schließlich einen eigenen Willen, und das Programm ist bei Fil sowieso immer im Fluss, kein Abend ist genau wie der vorherige. Das Best-of ist insofern eh eine Mogelpackung, weil es Fil bloß als Entschuldigung nutzt, genau das auf die Bühne zu bringen, wozu er gerade Lust hat. Ein Konzept, das man schon aus seinen sonstigen Shows kennt und nun dazu führt, dass man neben wenig Neuem die meisten der Songs und Stand-up-Nummern wie das legendäre Reinhard-Mey-Imitat oder die Hamburger-Schule-Parodie zwar schon kennt. Aber halt nur irgendwie, denn vieles ist so modifiziert und spontan überarbeitet, dass es wie aus dem Stehgreif frisch erschaffen scheint.
So wird der die „Lassen Sie mich durch, ich bin Vatergeneration“ karikierende Klassiker „Mein Kind ist geiler als dein Kind“ eingeleitet von einer ewig dauernden Ansage, die überraschend wenig mit den Eltern von Prenzlauer Berg zu tun hat. Aber keine Angst: Zum Ausgleich gibt es auch noch den Song von der Frau, die noch ohne Kindersitz, aber mit viel Angst durchs gentrifizierte Viertel radelt und denkt: „Bloß nicht anhalten! Bloß nicht schwanger werden“.
Tägert mag im liebevoll „Getto“ genannten Märkischen Viertel aufgewachsen sein, aber längst ist er umgezogen nach Prenzlauer Berg, hat ein Kind bekommen und dann begonnen, den eigenen Lebensstil und den seiner neuen Nachbarn durch den Kakao zu ziehen. Damit hat er in den vergangenen Jahren ein Publikum erreicht, das ihm zuvor verschlossen geblieben war, das mit dem Fil, der in den neunziger Jahren Kultstatus erreicht hatte, wohl ebenso wenig hätte anfangen können wie mit seinen aktuellen „Didi & Stulle“-Comics, die zwar immer noch tapfer alle zwei Wochen im Stadtmagazin Zitty erscheinen, aber es mittlerweile selbst den leidenschaftlichsten Anhängern sehr schwer machen ihnen zu folgen.
Aber auf der Bühne findet Fil die Balance zwischen eingängigem Witz und seinen typischen abwegigen Verirrungen. Die neuen Fans geben sich Mühe, seinen mäandernden Diskursen über Speiseeissorten oder subkulturelle Distinktionskodes zu folgen. Entschädigt werden sie dafür mit Zerrbildern ihrer selbst. Denn es ist ein Publikum, das über sich lachen kann, womöglich sogar lachen muss. Vielleicht glaubt es auch, mit einem solchen Abend Abbitte leisten zu können für den eigenen bigotten Lebensentwurf.
Das sind die Momente, in denen Fil einem klassischen Kabarettisten am nächsten kommt. Aber bevor der Spiegel, der Gesellschaft und Publikum vorgehalten wird, zu schwer wird, reaktiviert der ewige Punk in Tägert gerade noch rechtzeitig wieder Renitenz, Absurdität und seinen räudigen Berliner Humor. Und nicht zuletzt gibt es ja noch Sharkey, der seinem Zuflüsterer im Notfall den Arsch rettet.
■ „Die Fil-Show: Das Beste aus 20 Jahren“, 20., 22., 23., 26.–31.12., 20 Uhr, Babylon Mitte, 16–28 Euro