piwik no script img

Liebe auf den letzten Blick

ABSCHIEDSFEIER Erst nach dem finalen Zittersieg im Pokalendspiel zeigen Pep Guardiola und die Bayern große Gefühle füreinander. Die gemeinsamen Jahre waren weniger harmonisch – und weniger ruhmreich als erhofft

Versöhnlicher Abschluss: Die Bayern-Spieler und ihr scheidender Trainer Pep Guardiola nach dem Sieg im DFB-Pokalfinale gegen Borussia Dortmund Foto: Kai Pfaffenbach/ reuters

aus Berlin Markus Völker

Als der goldene Glitzerregen fiel und der Bombastkitsch im Berliner Olympiastadion auf den Höhepunkt zusteuerte, da wurde es supersupersuper-emotional. Ja, tatsächlich, Josep Guardiola i Sala aus Santpedor (beziehungsweise: aus Sant Pep d’Or) weinte. Es war wohl kein Blut, das aus seinen Lidern rann, jedenfalls hatte es nicht den Anschein, sondern gewöhnliches Wasser, aber die Effizienzmaschine aus Katalonien zeigte sich überwältigt von diesem Finale. Der große Pep heulte, und die Kameras und die Menschen konnten sich gar nicht sattsehen an der Menschwerdung eines Fußballheiligen, der sodann seine Spieler mit innigen Umarmungen segnete und den Fans in den roten Gewändern Zeichen des Wohlwollens und des Dankes zukommen ließ. Die auch vom Sieg über die Gelben berauschten Bayern-Spieler hoben den spanischen Übertrainer in die Höhe wie eine Reliquie, deren Blutwunder zu bestaunen war, warfen ihn in die Luft und ließen ihn so sanft zu Boden, als betteten sie einen Engel in eine Kumuluswolke. Auf den letzten Drücker, und vielleicht auch nur für diesen kurzen Moment hatte Guardiola sich mit allen versöhnt, mit dieser komischen deutschen Liga, mit diesem schwierigen FC Bayern, mit diesem hyperkritischen Umfeld. Und eventuell sogar mit dem Maulwurf, mit el topo de ba­viera, der mehrmals Interna ausgeplaudert haben soll.

Der FC Bayern München hatte im DFB-Pokalfinale Borussia Dortmund im Elfmeterschießen niedergerungen. Nach der regulären Spielzeit stand es 0:0, ebenso nach 120 Minuten. Im Shoot-out vergurkten die Dortmunder Innenverteidiger Sokratis Papastathopoulos und Sven Bender. Aufseiten der Münchner versagte nur der Neu-Nationalspieler Joshua Kimmich. Es war eine fußballerische Abnutzungsschlacht, in die der Dortmunder Trainer Thomas Tuchel seine antibajuwarischen Spezialtruppen geschickt hatte. Hinten ließ er fünf Abwehrspieler in einer Reihe aufmarschieren, um die Angriffe der Bayern über die Flügel zu hemmen. Davor hatte er einen Dreimannriegel aufgebaut, mit Julian Weigl in der zentralen Position. Vorn rannten sich die Angreifer Marco Reus und Pierre-Emerick Aubameyang einen Wolf. Mitunter wurden besonders gefährliche Fachkräfte von den Gelben in Manndeckung genommen. Die Bayern rannten nimmermüde gegen dieses Bollwerk an, vertrauten auf ihre überragenden fußballerischen Fähigkeiten und ihre Idee vom kompromisslosen Dominanzfußball – ein Konzept, das ihnen der große Pep in die DNA implantiert hat. Sie können nichts anderes mehr als das.

Guardiolas Fazit zum Schluss: „Es waren drei fantastische Jahre hier in Deutschland.“ Na ja, fast …

Das Dortmunder Spiel bestand aus dem Versuch der Torblockade und der spekulativen Hoffnung auf gelungene Konter. Das Spiel der Bayern aus: Druck, Druck, Druck. So zwangen die Münchner einem Team, das in den bisherigen Pokalspielen über 60 Prozent Ballbesitz gehabt hatte, eine regelrechte Ballbesitzdiät auf: Der BVB kam nur auf magere 30 Prozent, war also zu einer reaktiven (oder auch: regressiven) Taktikvariante gezwungen, die der Suprematie des Gegners geschuldet war. Dieses schier endlose Spiel aus Anrennen und Verhindern wurde bis zum Exzess getrieben, worunter das fußballerische Niveau ein wenig litt. Die Dortmunder waren schon nach 80 Minuten von Krämpfen geschüttelt, später erwischte es auch ein paar Münchner. Mats Hummels, der als künftiger FCB-Profi sein letztes Spiel für den BVB machte und dabei nicht besonders auffiel, musste schon relativ früh (78. Minute) vom Platz nach einem Wadenkrampf. Der Verschleiß war hoch, das Drama offenkundig, doch der Unterhaltungswert dieser Art von Fußballschach begrenzt. Vielleicht wäre es interessanter geworden, wenn Franck Ribéry nach seinem Pikser ins Auge von Gonzalo Castro vom Platz geflogen wäre. Aber der Attentäter kam mit Gelb davon.

Egal, Pep Guardiola feierte mit den Bayern seinen siebten Titel, wobei auch Nun-ja-Titel wie Supercups dabei waren. Insgesamt hat der 45-Jährige in seiner Trainerkarriere 21 Titel geholt, drei pro Jahr. Nicht schlecht, aber mit den Bayern hat er eben nicht wie sein Vorgänger Jupp Heynckes die Champions League gewonnen, sondern ist nur dreimal hintereinander ins Halbfinale dieses Wettbewerbs gekommen. Nach Einschätzung vieler Außenstehender, aber auch seines Arbeitgebers ist Pep ein Unvollendeter geblieben, ein besessener Innovator zwar, aber eben auch ein herrschsüchtiger Kauz, der im Falle des Misserfolgs zu paranoiden Attacken und Säuberungsaktionen neigte (siehe: El topo und El doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt sowie andere Vereinsärzte, denen Pep vorwarf, die Spieler zu langsam fit zu machen).

„Ich habe nicht geholt, was dieser Verein und diese Spieler verdienen“ – die Champions League

Aber wie sagte Guardiola noch: „Titel sind Nummern, und Nummern sind langweilig.“ In Berlin hat man gesehen, was für eine grandiose Lüge das war und wie wichtig Titel für Guardiola sind. Sie sind alles für diesen Coach und diesen Verein. Deswegen auch der Gefühlsausbruch des Katalanen, von dem im Moment des finalen Triumphs all der Ballast der vergangenen Monate abfiel. Thomas Müller kommentierte es mit entwaffnender Offenheit: „Wenn alles vorbei ist, können alle Dämme brechen, vorher muss er seinen Beruf machen, nachher kann er Mensch sein.“

Der Mensch Josep Guardiola i Sala aus Santpedor wird sich jetzt wieder in eine Menschmaschine verwandeln, denn er muss künftig aus seinem neuen Klub Manchester City einen Champions-League-Sieger formen, den Leuten dort mächtig auf den Zeiger gehen. Das wird wieder supersupersuper-anstrengend. Und die Bayern-Dominanzler? Kriegen für teures Geld den vermeintlichen Wohlfühlteddybär Carlo Ancelotti – und gratis eine noch nervigere Rivalität mit dem aufstrebenden BVB.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen