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Archiv-Artikel

Der Glaube ans Zentrum ist ungebrochen

CITY WEST Der Umzug von C/O Berlin ins Amerika Haus ist ein Symptom für den Wiederaufstieg des alten Westens, der inzwischen dynamischer daherkommt als das historisierte Mitte

Hier ist der Ort für die, die es geschafft haben, für die Etablierten, die mit Geld und mit gediegenem Geschmack

VON RONALD BERG

Ein Gebäude markiert nicht nur einen Ort, es identifiziert das Geschehen am Ort mit seiner Gestalt. Bei C/O Berlin, dem erfolgreichen und renommierten Ausstellungsforum für Fotografie, war deshalb die Angst groß, mit dem bevorstehenden Auszug aus dem ehemaligen Postfuhramt an der Oranienburger Straße könnte das Image der eigenen Marke leiden. Das auffällig unrestaurierte Haus zeigte sich mit seiner dicken Patina als erratisches Relikt vergangener Zeiten. Es gab nicht nur Kunde vom opulenten Stilwillen seiner Entstehungszeit um 1880, und es illustrierte nicht nur die Aneignung zu DDR-Zeiten, sondern zeugte auch von einer Zeit, da derart große Gebäude im Zentrum der Stadt – ähnlich wie beim benachbarten Tacheles – zum Tummelplatz für Kreative werden konnten. Mit dem Auszug von C/O Berlin geht diese Nachwende-Epoche zu Ende. Kapitalistische Normalität kehrt ein. Das Medizinunternehmen Biotronik will sich als neuer Eigentümer hier eine „Repräsentanz“ einrichten.

Die Gegend mit dem sprechenden Namen „Mitte“, also der alte, bis zur Wende im Ostteil der Stadt liegende Berliner Bezirk gleichen Namens, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark verändert. Geografisch ist „Mitte“ wieder die Mitte der Stadt Berlin geworden. Damit einhergehend setzte ein Hang zur Zentralisation nach Mitte ein. Die Mitte muss wieder das Zentrum werden, nach diesem geheimen Motto verlief die Stadtentwicklung. Das heißt praktisch: Ein Ort muss die Mitte als solche markieren und symbolisch verkörpern.

Diese Funktion wird in Zukunft der Replik des Stadtschlosses zugedacht sein. Die Berliner hatten das 1950 von Walter Ulbricht geschleifte Schloss eigentlich nicht sonderlich vermisst. Im geteilten Berlin der Nachkriegszeit hatte man sich daran gewöhnt, ohne Zentrum auszukommen. Man lebte mit Provisorien im Westen (Rathaus Schöneberg) oder mit Substituten im Osten (Tierpark statt Zoo), und man lebte – ob West oder Ost – im jeweiligen Kiez. Eine Mauer sorgte für die prägende Identität. Sie zu ertragen, verband beide Stadthälften mehr, als dass es sie trennte.

Wenn man schon von Zentrum sprechen will, dann gab es in Berlin zu Mauerzeiten mindestens zwei: eines in der sozialistischen Hauptstadt mit dem Fernsehturm als unübersehbarem Höhenzeichen und ein eher informelles im Westen mit Kranzler-Eck und Gedächtniskirche als Bildzeichen. Aus dieser Konstellation heraus hätte Berlin nach 1989 die Chance gehabt, sich dezentral zu entwickeln. Das Gegenteil ist eingetreten. Obwohl die Gegenwart zur gleichen Zeit in geradezu revolutionärer Weise durch die Vernetzung der Datenverkehrswege geprägt war, nahm die Stadtentwicklung eine genau gegenteilige Entwicklung. Infrastrukturprojekte wie Hauptbahnhof und Zentralflughafen Berlin-Brandenburg (BER) zeigen, dass man immer noch an einer zentrale Steuerung und Abwicklung von Verkehrsströmen glaubt. Auch wenn die chaotische Wirklichkeit beim BER dieser Annahme zunehmend widerspricht.

Nach der Wiedervereinigung der beiden Stadthälften Berlins wurden auch die alten politischen und administrativen Zentren reaktiviert. Rotes Rathaus und Abgeordnetenhaus auf Landesebene, Reichstag, Ministerien und Kanzleramt auf Bundesebene. Allesamt liegen diese Gebäude in Mitte oder doch in unmittelbarer Nähe. Auch das alte kulturelle Zentrum mit den Museen auf der Museumsinsel wurde buchstäblich restauriert und wird für den weiter anschwellenden Massentourismus ertüchtigt. Wenn für diese Entwicklung argumentiert wird – zuletzt bei der geplanten Verlagerung der Alten Meister ins Bodemuseum – werden immer wieder Momente von Wiederherstellung und Rückgewinnung historischer Gegebenheiten betont. Die Mitte wird also auf ganzer Linie, von der Blockrandstruktur bis zu den identitätsstiftenden Gebäuden, historisierend rückgebaut.

Die City West ist bei all den Entwicklungen fast vergessen worden. Der angekündigte Umzug einer mit Mitte so identifizierten Marke wie C/O Berlin ins Amerika Haus hat jetzt erneut die Aufmerksamkeit auf die Gegend rund um den Zoo gelenkt. Nachdem die Kapitaleigner die am Markt verfügbaren Flächen in Mitte unter sich aufgeteilt haben und die in Staatshand befindlichen Grundstücke verplant oder privatisiert sind, wird sich die Aufmerksamkeit in der Stadtentwicklung in Zukunft zwangsläufig wieder auf andere Orte richten.

Der Neubeginn für C/O Berlin im alten Westteil Berlins ist daher eher Symptom einer Entwicklung als bloßer Zufall. In der Umgebung des neuen C/O-Standorts wird sich nämlich demnächst einiges tun. Das 118 Meter hohe Fünf-Sterne-Plus-Hotel Waldorf Astoria wird nach dem Jahreswechsel endlich doch noch eröffnen. Das wäre ein Zeichen. Denn das Hotel rangiert in der absoluten Luxusklasse. Der Glaube an Zukunft und Kaufkraft ist bei den Investoren also da. Gegenüber des neuen Hotels wird sich in absehbarer Zeit auch der Zoobogen neu präsentieren. Der Zoo-Palast soll wieder ein Premierenkino werden, das Bikini-Haus wird mit einer Mischung von Einzelhandelsgeschäften und einer Flanierterrasse mit Blick zum Zoo aufwarten. Zugpferd soll das Modegeschäft von Andreas Murkudis werden. Mit seinen Luxusklamotten und Designartikeln residiert er bislang noch an der Potsdamer Straße.

Auch hier zeigt sich, wohin der Trend in der City West gehen wird. Hier ist der Ort für die, die es bereits geschafft haben, für die Etablierten, für die mit Geld und gediegenem Geschmack, durch den sie der Welt von ihrem Erfolg berichten. Insofern passt C/O Berlin als etablierte Marke gut in die Gegend um das KaDeWe und den Kurfürstendamm. Man sei erwachsen geworden, kommentierte C/O-Direktor Stephan Erfurt die Umzugspläne für seine Institution.

Die City West scheint für unternehmerische und kreative Besetzungen (auch aus dem Umfeld von TU und UdK) inzwischen offener als die alte Stadtmitte. Dabei hat die City West im Grunde viel eher etwas von einer historischen Altstadt als das historisierende Retortenprodukt in Mitte. Hier funktioniert die Stadt gleichsam noch urwüchsig. Historische Schichten und Brüche zeugen davon. Im Berliner Gesamtgefüge wird der alte Westen bald seine Stellung aus der Zeit vor dem Krieg einnehmen: Wer es sich leisten konnte, zog in den mondänen Westen. Hier findet er Theater, Museen, Oper und was es sonst noch gibt an Amüsement, zugleich aber auch großzügige Wohnungen und ein seiner Kaufkraft entsprechendes Shopping- und Gastronomieangebot. Die City West muss man nicht neu erfinden, sie wartet nur darauf, ihre alte Rolle wieder einzunehmen. Mit anderen Worten: Die hierarchische Ausdifferenzierung der Stadt in Zentrum und Peripherie und die soziale in Arm und Reich ist in vollem Gange.