Bedauerliche Straßenlage in Steglitz

TREITSCHKE BLEIBT IM PLAN

Jeder Kropf ist nützlicher als ein Straßenname, der solches Erbe konserviert

Nun bleibt er Steglitz doch erhalten: Heinrich „Die Juden sind unser Unglück“ von Treitschke. Die Seitenstraße hinterm Saturn am Bierpinsel wird weiterhin an den Historiker erinnern, der in einem berüchtigten Aufsatz von 1879 die antisemitische Stimmung in Preußen auf den Punkt brachte. Entschieden haben es ein paar hundert Anwohner. Sie durften für oder gegen die Umbenennung der Treitschkestraße votieren, und sie taten Letzteres – mit satten 78 Prozent. Ein reichlich unbefriedigendes Ergebnis – auch wenn die örtliche SPD bereits angekündigt hat, bald eine neue Initiative zu starten.

Unbefriedigend erstens für die Steglitz-Zehlendorfer Grünen. Am Ende haben sie Treitschke gerettet, obwohl sie ihn eigentlich aus dem Straßenverzeichnis verbannen wollten. Aber statt eine Entscheidung in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zu forcieren, ließen sie sich auf die Befragung ein, um ihre Zählgemeinschaft mit der CDU nicht zu riskieren. Jetzt haben sie den Salat.

Unbefriedigend ist das Votum aber natürlich auch für den Rest der Stadt. Denn auch wenn Treitschke den Antisemitismus nicht erfunden hat, sondern eben die Judenfeindlichkeit seiner Zeit in dem Essay „Unsere Aussichten“ dokumentierte und bündelte: Jeder Kropf ist nützlicher als ein Straßenname, der solcherlei Erbe konserviert. Auch wenn inzwischen eine Stele vor Ort über den umstrittenen Professor informiert, auch wenn man eine angrenzende Grünanlage nach seinem jüdischen Kollegen Harry Bresslau benannt hat.

Unbefriedigend ist all das schließlich noch aus einem anderen Grund. Über dem jahrelangen Steglitzer Streit wird vergessen, dass es in puncto Judenfeindschaft noch ganz andere Kaliber gibt. Was Treitschke letztlich propagierte, war die vollständige Assimilierung der Juden. Was ein gewisser Martin Luther – Antisemit avant la lettre – forderte, war ihre brutalstmögliche Diskriminierung bis an die Schwelle zum Genozid. Und doch ist eine der großen Straßen Berlins nach ihm benannt. Vorschlag zur Güte: in Martin-Luther-King-Straße umbenennen. Das überfordert die Anwohner nicht und ehrt einen verdienstvollen Mann, dem bislang lediglich ein Fußgängerweg in Britz gewidmet ist. CLAUDIUS PRÖSSER

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