: Don Quijote muss sterben
Dürre Reiter vor Windmühlen sind unzeitgemäß. Aber das hindert die norddeutschen Spielplan-Planer nicht daran mit ihnen ihre Bühnen zu bespaßen. Schließlich gibt’s ein Roman-Jubeljahr
Wie originell: Vor 400 Jahren erschien der Roman „Don Quijote“, und 2006 ist sein Verfasser Miguel de Cervantes y Saavedra 390 Jahre tot. Das sind so die Termine, die Veranstaltungsmacher und Spielplanplaner lieben. Denn: Dann muss man sich nicht lange den Kopf zerbrechen. Also feiert man im Norden den Ritter von der traurigen Gestalt.
Es hat schon begonnen. Ganz sanft, im Frühsommer in Holzminden zum Beispiel, beim Open-Air-Theaterfestival. Und kommendes Jahr wird es in Bremen und in Itzehoe fortgesetzt – hier mit Jules Massenets „Don Quichotte“-Belcanto-Staatstheater, dort mit einer Lesung. Doch das sind eher Ausläufer: Die maximale Magnitude scheint das Jubiläums-Beben im Norden gerade eben erreicht zu haben. Kommende Woche lässt die deutsch-französische Gesellschaft Kiel einen Romanisten über die „Darstellung Don Quijotes in Frankreich“ referieren. Sowohl das niedersächsische als auch das Schleswig-Holstein-Musikfestival haben die zu Recht von den Spielplänen verschwundene Oper des Hamburger Komponisten Georg Philipp Telemann aus dem Siphon des Vergessens gespült, während Goslarer Kunsthistoriker eine Schau unter dem Titel „Spuren des Don Quijote“ zusammengestellt haben, die jetzt in Osnabrück zu besichtigen ist. Dort wiederum veranstaltet man einen weltweiten Karikaturen-Wettbewerb – Thema: Don Quijote.
In der Metropole Hamburg aber, wo das Bucerius-Kunst-Forum im November eine schlicht „Don Quijote“ betitelte Ausstellung zeigt, werden zuvor Elemente des Romanstoffs dialogisiert und auf die Thalia-Bühne gehievt: „Quixote in der Stadt“ hat, mit altertümelndem „x“, Vorzeigedramatikerin Dea Loher ihr Opus genannt. Vergangene Woche erlebte es seine Uraufführung. Bemerkenswert daran: Das Stück wurde pünktlich zum Jubiläum fertiggestellt. Und: Es tritt ein alter Mann mit Papierrüstung und Papplanze auf. Das kracht ja nur so vor Inspiration. Und hört sich unerhört zeitgemäß an.
Zeitgemäß – das ist ohnehin das Standard-Argument der Don-Quijottisten, die behaupten, die komische Figur sei einfach immer aktuell. Und gerade jetzt besonders. Wer da weiter nachhakt, wird Geschwafel ernten: „Bei Quixote muss man immer in Ambivalenzen denken“, vertraute Thalia-Regisseur Andreas Kriegenberg der „Welt am Sonntag“ werbeträchtig an. „So eine Figur aus der Zeit herauszunehmen und ins Heute zu transportieren“ sei zudem „vergnüglich“.Häufige Nennungen in ähnlichem Zusammenhang: für Ideale kämpfen, Träume leben und ähnliche Nebelkerzen. Aufrecht erhalten lässt sich die interessegeleitete These von der Aktualität des Don Quijote nur, weil das laut einer schwedischen Erhebung „beste Buch aller Zeiten“ seine besten Zeiten längst hinter sich hat. Den Titel kennt jeder. Gelesen? Fehlanzeige! Maximal verfügt man über eine vage Erinnerung an Erich Kästners Kinderfassung. Das ist verständlich, weil es im Grunde gar nicht möglich ist, wachen Auges über die langatmige Vorrede des ersten Teils hinauszukommen. Wer das geschafft hat, den erwartet eine Story, die ihn dafür nicht belohnt: Ein Mann hält sich für einen Ritter, geht auf Reisen, wird verprügelt, reist weiter, wird wieder verprügelt, reist weiter, zieht sich Verletzungen zu. Im zweiten Teil gibt’s dann eine weitere Vorrede, deutlich weniger Prügel, dafür aber viel Konversation. Eingestreut finden sich Späße und Kalauer à la „Die Sonne hätte ihm gewisslich das Hirn herausgebrannt, wenn er denn eines gehabt hätte“, die sich, in leichter Variation, alle zwei Seiten wiederholen. Das beste Buch aller Zeiten eben.
Dass Don Quijote weiter durch Spielpläne und Marketing-Prospekte geistert – war schon vom Gifhorner Mühlenmuseum die Rede? –, liegt letztlich nur an dieser einen Ur-Szene, die sich aus dem 1.000-Seiten-Schinken gelöst und verselbstständigt hat: Falls es das Universell-Komische gibt, so ist es in ihr aufgehoben. Es handelt sich um das Bild eines dürren Mannes, der auf einem dürren Pferd sitzend vor Windmühlen steht. Ein dürrer Mann, verstehen Sie, auf einem dürren Pferd! Zum Schreien witzig, das. Und dann auch noch vor Windmühlen!
Wer Don Quijote sagt, meint dieses Bild, und wer dieses Bild entwirft, meint Don Quijote, weltweit. Und das macht ihn so aktuell, gerade jetzt, und gerade in Norddeutschland: Schließlich gibt es hier auch Windmühlen. Und Pferde. Und Umweltminister Jürgen Trittin ist auch ziemlich schlank.
Cervantes trifft daran keine Schuld. Er hätte vor 400 Jahren kein besseres Buch schreiben können. Und vor allem: Er lässt am Ende seine Hauptfigur zur Einsicht kommen, sich dafür zu entschuldigen, dass so viel hat über sie geschrieben werden müssen. Und sterben. Bloß will ihr keiner die ewige Ruhe gönnen. Don Quijote muss weiter den Spaßkasper geben, dürr sein und auf einem Klepper vor Windmühlen lungern. Alles weitere ist uninteressant – doch nach diesem Bild herrscht stete Nachfrage, damit befriedigt Quijote ein Bedürfnis des Markts. Und der Markt ist unerbittlich. bes