: Musikalische Grenzverschiebung
Berghain Die schwarze Sopranistin Pumeza Matshikiza lässt ihr Publikum beschwingt zurück
Im Berghain sollen sich Szenen abspielen, die das Zeug zum Porno haben. Zumindest am Wochenende, wenn innerhalb der hohen grauen Mauern Elektro angesagt ist. Ganz ungeniert gibt sich die vorwiegend junge Meute dort dem Leben hin, säuft, kifft, spritzt, vögelt, tanzt. Feiert eben ab. Der Partytempel ist begehrt, er verheißt Grenzenlosigkeit.
Insofern passt es, dass Pumeza Matshikiza am Dienstag im Berghain auftrat. Auch sie hat Grenzen überwunden. Die schwarze Sopranistin wuchs in Südafrika auf, zog dort mit ihrer Familie von einem Township ins nächste. Ihre Mutter arbeitete als Putzfrau, der Vater verstarb schon früh. Um den kleineren der beiden Brüder kümmerte sich Pumeza Matshikiza – um die Ausbildung der heute 37-Jährigen kümmerte sich niemand.
Und doch hat sie es geschafft, in einen Zirkel einzubrechen, in dem sich die weiße, europäische Oberschicht trifft. In großen Konzertsälen also, wo pikfeine Damen und Herren, meist ältere Semester, nur in der edelsten Garderobe erscheinen und aus blank polierten Gläschen Sekt nippen. So stellt man sich das jedenfalls vor. Mozart, Puccini, Dvořák und wie sie alle heißen. Viel Ritus, klare Linien.
In der Yellow Lounge im Berghain ist die Szenerie eine andere. Jüngeres Publikum, weniger adrett, nah an der Bühne, teils stehend. Ein wenig höher ist der schwarze Flügel aufgestellt worden, an dem Chris White sitzt, an den sich Pumeza Matshikiza anlehnt. Sie trägt ein schwarz-weiß gemustertes Kleid, ist nah bei den Zuhörern. Kleine Arien des 17. bis 20. Jahrhunderts hat sie aus ihrem neuen Album „Arias“ mitgebracht. Darunter die Rolle der Mimi aus Puccinis La Bohème. Ihrem Namen macht Pumeza Matshikiza alle Ehre, Pumeza heißt in der Sprache der Xhosa „erfüllen“. Ihre Stimme ist erfüllend, das wird schnell klar. Sehr ausgeglichen von oben bis unten tönt ihr Gesang durchs Berghain. Dort, wo normalerweise die Ektase in Reinform vollzogen wird, herrscht augenblicklich eine entspannte Ruhe. Man lauscht und genießt, mit welcher Eleganz die Sopranistin, scheinbar mühelos, den Raum einnimmt.
Die Dramatik und Tragik, die sich in den von ihr wiedergegeben Werken spiegeln, transportiert Pumeza Matshikiza eindrucksvoll. Ihre Gesichtszüge sind straff, die Augen durchdringend. So zelebriert sie auch Dvořáks „Song to the moon“ oder den „Punto de Habanera“ aus Xavier Montsalvatges Cinco Canciones stilsicher und mit der entsprechenden Körperspannung. Die Ruhe und Stärke, die sie während der Performance ausstrahlt, wünscht man sich von ihr auch in den Pausen zwischen den Stücken.
Da wirkt sie fast noch etwas schüchtern, ja geradezu so, als ob sie sich für ihre tolle Stimme entschuldigen müsste. Wie viel Qualität ihre Stimme besitzt, zeigt sich zum krönenden Abschluss. Den „Click-Song“, so nennt Pumeza Matshikiza das in ihrer Heimatsprache Xhosa mit vielen Klick-Lauten angereicherte Stück, hebt sich vom restlichen, durchweg gelungenen Auftritt noch einmal wohltuend ab.
Südafrikanische Freude und Verspieltheit kombiniert mit klassischem Gesang ergeben dabei eine großartige Frische, die das Publikum beschwingt zurücklässt. Alleine die lauten Klick-Geräusche, die Pumeza Matshikiza von sich gibt, sind das Eintrittsgeld wert. In ihnen offenbart die Sopranistin ihr wildes Temperament, das sie sonst vornehm zurückhält. Im Berghain hat sie die Grenzen jedenfalls neu verschoben. Wenn Pumeza Matshikiza ihr Profil weiter schärft, wird ihr dies auch in jeder anderen Umgebung gelingen. David Joram
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