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Archiv-Artikel

Die längste Nacht

TOMAZ HOSTNIK Vor dreißig Jahren tötete sich der erste Sänger des slowenischen Klangkollektivs Laibach. Ein Abend in Leipzig erinnerte an ihn

Hostnik in Uniform erinnerte an den verstorbenen jugoslawischen Staatsgründer Josip Broz Tito, zitierte aber Benito Mussolini: „Die Zeiten des Friedens sind vorbei“

VON ROBERT MIESSNER

Sie seien „des Geistes Kinder“ und „Brüder der Nacht, deren Versprechen, nicht zustande gebracht“: So beantwortete die Industrialformation Laibach die Frage des Fernsehmoderators, der sie im Juni 1983 bei ihrem ersten jugoslawischen TV-Auftritt präsentierte. Konfrontiert mit den provokativen Äußerungen der Slowenen, meinte er: „Hoffentlich findet sich jemand, der diese fürchterlichen Ideen vernichtet.“ Dabei zitierten Laibach die Worte eines bereits toten Mannes: Sie verwendeten Auszüge aus „Laibach Apologija“, dem Abschiedsbrief und -gedicht ihres ersten dokumentierten Sängers Tomaz Hostnik.

Am 21. Dezember 1982 hatte er sich an einem Heugestell erhängt und war zwei Tage später auf dem Friedhof Zale in Ljubljana beerdigt worden. Wer war Hostnik? Vieles bleibt im Dunkeln, gesichert ist: Geboren 1961 im ländlichen Medvode nahe der slowenischen Hauptstadt, hätte seine Ausbildung Anlass gegeben zu sagen, da ist einer, aus dem was werden kann.

Hostniks Karriere wurde eine andere. Im September 1982 stand er auf der Bühne des Novi-Rock-Festivals in Ljubljana: Laibach gaben eine ihrer frühesten Performances aus Gitarrenrückkopplungen, Fanfaren und Tonbandschleifen. Hostnik erinnerte in Uniform vage an den zwei Jahre zuvor verstorbenen jugoslawischen Staatsgründer Josip Broz Tito, doch führte er die Worte Benito Mussolinis im Mund: „Die Zeiten des Friedens sind vorbei.“ Das heißt, er brüllte sie. Hostniks Körpersprache wirkte beklommen, auch die Wirkung des Laibach’schen Auftritts soll eine beklemmende gewesen sein.

Hostnik hatte ihr Konzept einer Aufklärung durch Verunsicherung mitentwickelt. Seinen letzten Auftritt mit Laibach absolvierte er im Dezember 1982 in Zagreber Kulturzentrum Mosa Pijade. Der Abend stand unter dem Orson-Welles-Motto „Dotik zla“, zu Deutsch: „Berührung des Bösen“. Polizei und Armee sollten Untersuchungen einleiten. Was den slowenischen Szeneaktivisten Igor Vidmar nicht davon abhielt, am 2. Januar Tomaz Hostniks im Studentenradio Ljubljanas zu gedenken.

Hostniks kurzes Leben vor Augen, könnte man an einen anderen Selbsthenker des Postpunks denken: Ian Curtis von Joy Division, der sich 1980 in Macclesfield, England, erhängte. Man könnte Nietzsche ins Feld führen: „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Ob man aber aus Hostnik einen Märtyrer machen sollte? Ivo Saliger von Laibach meint, der Verstorbene würde sich das verbeten haben. Er fügt hinzu: „Laibach – zusammen mit Tomaz, als er noch bei uns war – haben immer versucht, die Bedeutung eines individuellen Autors (und seines narzisstischen Egos) auszuradieren.“

Saliger äußerte dies im Vorfeld einer Veranstaltung am Donnerstagabend in Leipzig, die kein reines Gedenken sein wollte: „Re-Turning Identity – Instrumentalisierung und Inszenierung von Individualität bei Laibach“ hieß der Vortrag des Kulturwissenschaftlers Alexander Nym, den er in den Räumen des Kulturny Dom B31 hielt: Sitz des NSK-Staats Leipzig, des sächsischen Ablegers des Laibach’schen Kunststaates, dort, wo zu DDR-Zeiten die unabhängige Galerie Eigen+Art agierte. Ein schöner Zirkelschluss der Geschichte, dem traurigen Anlass zum Trotz.