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Archiv-Artikel

Lauter Menno-Probleme

In Miriam Toews’ Coming-of-Age-Roman „Ein komplizierter Akt der Liebe“ wächst die junge Nomi als Teenager in der kanadischen Provinz auf – umgeben von protestantischen Fundamentalisten

von KATHARINA GRANZIN

Nicht jeder Mensch hat das Glück, in einer aufregenden Metropole aufzuwachsen. Doch die wenigsten werden in einer Umgebung großgezogen, die es an Tristesse mit dem Kaff aufnehmen kann, in dem die kanadische Autorin Miriam Toews ihre jugendliche Heldin Nomi in den späten Siebziger-, frühen Achtzigerjahren ihr coming of age durchleben lässt. Die Hauptstraße endet auf einem brachliegenden Acker. Der größte Arbeitgeber der Stadt ist die Hühnerschlachterei, der zweitgrößte ist das Freilichtmuseum, in dem Touristen vorgeführt bekommen, wie die Vorfahren der Bewohner der Stadt lebten.

Museumswürdig wird der Ort dadurch, dass die Bewohner Mennoniten sind – Angehörige einer protestantischen Sekte aus Norddeutschland, die einst nach Kanada kamen, um ungestört eine reichlich fundamentalistische Variante des Christentums zu praktizieren. Nomi kann auf eine Kindheit zurückblicken, die geprägt ist vom Glauben an die ewige Verdammnis, von Kirchgängen und frommen Liedern, deren Absingen ihr Vater allabendlich im Fernsehen verfolgt. Als die Erzählung einsetzt, lebt sie schon drei Jahre allein mit ihm – sowohl die bewunderte ältere Schwester als auch die Mutter sind verschwunden. Das macht das Sechzehn-Jahre-alt-Sein nicht leichter, trotzdem ist Nomi auf dem besten Wege, sich auch ohne weibliche Vorbilder selbst zu definieren.

Nach ihrem Wissen sind Mennoniten „die peinlichste religiöse Untergruppierung von Menschen, zu der man als Teenager gehören kann“, verkündet die Icherzählerin gleich zu Beginn mit großer Geste. Der eigene Vater allerdings bekommt regelmäßig die Ehrenplakette für besonders lückenlosen Kirchenbesuch verliehen. Da er zugleich auch der Mensch ist, den Nomi am meisten auf der Welt vor allem Bösen beschützen will, steckt sie in einer ziemlich tiefen existenziellen Klemme. Dass dieser Konflikt sich nicht zufrieden stellend lösen lässt, dass sein Ende mit Verlust verbunden sein wird und was eigentlich hinter dem Verschwinden von Schwester und Mutter steckt – Nomi weiß es nicht oder will es nicht wissen. Dazu hängt sie viel zu sehr an der Idee einer intakten Familie, und dazu ist sie viel zu beschäftigt mit den üblichen Teenagerproblemen, die keine Trivialitäten sind, sondern mentale Felsbrocken: Warum bin ich so hässlich? Wie schaffe ich es, auch mal was Intelligentes zu sagen, wenn ich den Mund aufmache? Wo kriege ich Geld für den nächsten Joint her? Außerdem kriegt Nomi die Sache mit dem Sex nicht hin, aber das ist dann auch wieder ein, wie sie sagen würde, Menno-Problem. Ihr Freund heißt Travis, sie liebt ihn sehr, und er würde halt gern mit ihr. Und Nomi macht mit, soweit es geht, besorgt sich sogar hinter Daddys Rücken die Pille.

Nichts kommt in diesem so lustig geschriebenen Buch an ein richtig gutes Ende. Während Nomi ihr Leben vermasselt, liegt ihre beste Freundin Lydia, als eine Art Seismograf für Nomis Befinden, mit unerklärlichen Schmerzen im Krankenhaus und wird schließlich weggebracht, um mit Elektroschocks traktiert zu werden. Nomi wiederum, die sich am Ende allein in einem leeren Haus wiederfindet, schafft es immer noch nicht, das Naheliegende zu tun: abzuhauen und in Ruhe erwachsen zu werden. Doch hat man keinerlei Zweifel daran, dass es ihr irgendwann gelingen wird. Denn diese Ich-Erzählerin, sosehr sie es auch vermeidet, explizit die großen Fragen zu stellen, ist eine, die hinter die Oberfläche der Dinge sehen kann und die sich höchstens von einem guten Joint ihr klares Urteilsvermögen trüben lässt.

Nun ist Nomis schnoddrig-ironische Abgebrühtheit, die die Lektüre so amüsant macht, weniger die authentische Stimme einer verwirrten Sechzehnjährigen. Vielmehr handelt es sich um den durchs Leben gereiften Humor einer vierzigjährigen Autorin, die das zweifelhafte Glück hatte, in einer ähnlich bibelfesten Umgebung aufzuwachsen wie ihre Heldin. Das macht absolut gar nichts, immerhin ist es Literatur. Und somit der beste Ort, sich zu wünschen, man hätte damals irgendwie cooler sein können. So mit sechzehn.

Miriam Toews: „Ein komplizierter Akt der Liebe“. Aus dem Englischen von Christiane Buchner. Berlin Verlag, Berlin 2005, 300 Seiten, 18 €