Stuttgart, Ortsteil Seattle, Texas und das Iggy-Land
: Post fucking Pop Depression

Ausgehen und Rumstehen

von Jens Uthoff

Wenn es nicht gerade um Fußball geht, dann ist Stuttgart gerade eine ziemlich angesagte Stadt. Das liegt unter anderem daran, dass aus Ba-Wüs Capital seit geraumer Zeit frischer, lärmiger Diskurs-Gitarrenrock kommt, der gar die Rede vom schwäbischen Seattle befördert hat. Und, wie in der Politik auch, knüpft man von Stuttgart aus enge Bande mit der größeren Capital. Das Trio Die Nerven, die bekanntesten Vertreter der neuen Krachschwaben, wirkt derzeit etwa an der Schaubühne bei der Theateradaption des Frank-Witzel-Romans mit.

Am Donnerstagabend spielen ebendiese Die Nerven ein Konzert in der Volksbühne. Drei Jungs, zwei Verstärker. Gitarre, Schlagzeug, Bass. Sie bratzen und brettern einfach los, spielen nervösen, breakreichen Noiserock, der nach Bewegung, nach Beinzuckung verlangt. Bei Schlagzeuger Kevin Kuhn wirbeln die Haare genauso durch die Gegend wie die Drumsticks, das sah bei Nirvana-Trommler Dave Grohl damals auch nicht cooler aus. Auch in den vorderen zehn, fünfzehn Reihen, die immer dichter an die eigentlich in der Volksbühne ja nicht mehr wirklich vorhandene Bühne rücken, fliegt viel Haar durch die Gegend und es wird wild mitgewippt. Ein famoser Auftritt.

Jüdischer Cowboy

Von Die Nerven zum folgenden Konzertabend mit Kinky Friedman 24 Stunden später überzuleiten, ist nicht so einfach. Man muss dazu von Stuttgart, Ortsteil Seattle nach Texas schalten, sich statt mit der Fender Stra­tocaster mit der Westerngitarre vertraut machen und dahin gehen, wo das Haupthaar spärlicher wird und auf dem Kopf ohnehin seit Jahren nur ein Cowboyhut thront. Damit hätte man sich dem jüdischen Musiker und Gentleman Kinky Friedman angenähert, einem der schrägsten Country-Entertainer der USA und gleichzeitig „einer von uns“, wie er während des Konzerts im frannz Club in Prenzlauer Berg betont. Ein Anti-Trump. Leider bekomme ich nur noch fünf Songs mit, weil ich zunächst am falschen Club – dem Bassy – lande. Aber auch auf der Kurzstrecke weiß Kinky Friedman zu überzeugen, unterstützt von zwei weiteren Gitarristen spielt er ein paar melancholische Nummern im späten Johnny-Cash-Stil, das Publikum ist im Durchschnitt etwa 30 Jahre älter als am Vorabend. Die meisten stehen mucksmäuschenstill da, wenn Kinky in bester Country-Tradition Stücke wie „Sold American“ vorträgt – durchaus große Momente in einer Location, die irgendwie nicht ganz zum Altmeister passt.

Altersmäßig geht das Konzertwochenende am Samstagabend in einer ähnlichen Liga weiter, aber es wird ein paar Nummern größer: Iggy Pop lädt zur „Post Pop Depression“ ins Tempodrom; für das Album wie für den Auftritt hat Iggy fünf in rötlich schimmernde Jacketts gekleidete jüngere Rock-’n’-Roller – darunter Ausnahme-Rockgitarrist Josh Homme von den Queens Of The Stone Age – um sich geschart.

Knapp zwei Stunden kann man diesem Phänomen namens Iggy nun dabei zusehen, wie er – natürlich oben ohne - Turnübungen auf der Bühne absolviert, wie er Grimassen zieht, wie er mit den Armen winkt und rudert, wie er „Lust for Life“ propagiert, wie er das rote Bündchen seiner Boxershorts anmutig präsentiert, wie er eine Ehrenrunde durchs Publikum dreht und aus der Nähe wie die tollste lebende Comicfigur wirkt, die es je gab; wie er schließlich bei den Ansagen vor jedes fucking Wort, das er spricht, ein „fucking“ platziert.

Danach kann natürlich sowieso nichts mehr kommen.