: Skandinavischer Slayerismus
Seite für Seite eine einzige Provokation: Matias Faldbakken kämpft mit seinem Pop-Trash-Roman „Macht und Rebel“ gegen die Gegenkultur-Ratten
VON GERRIT BARTELS
Seinem Namen macht dieser kaputte skandinavische Endzwanziger keine Ehre. Rebel heißt er und doch tut er nichts anderes, als in seiner mülligen Wohnung herumzusitzen, zu masturbieren, zu scheißen, Fernseh zu gucken und sich dabei unentwegt zu fragen, ob er jetzt wirklich masturbieren, scheißen oder Fernseh gucken soll. Wenn dann gar nichts mehr geht, wenn der Selbstekel endgültig die Unlust vor die Tür zu gehen besiegt hat, hängt Rebel in Underground-Kneipen herum oder erledigt McJobs. Früher hat er sich ja mal „irgendwie der Linken zugehörig gefühlt“, doch heute wäre für ihn der einzige Grund zur Rebellion nur noch der, „dass mir eine Gang linksdrehender autonomer Teufel auf die Eier gehen würde“.
Der 29-Jährige Macht wiederum, die andere titelgebende Hauptfigur aus Matias Faldbakkens Roman „Macht und Rebel“, ist aus anderem Holz geschnitzt, sein Name ist Programm: Macht arbeitet für einen internationalen Großkonzern, er ist dort der „Contemporary Counter Culture Commercial Pick Upper“. Als solcher beutet er die Subkultur für die wirtschaftlichen Interessen seines Konzerns aus. Er macht Subversion marktgängig. Macht fühlt sich als Kreativer, ist aber froh darüber, sich für die Wirtschaftswelt entschieden zu haben und keiner von „ihnen“ zu sein: „Ihnen meint hier die Kulturärsche, Aktivistenärsche, die neoradikalen Bastarde, kritischen Theorie-Penner, die Slum-Könige der progressiven Musik, die Bewohner des Sinnstiftungs-Ghettos, des größten Zigeunerlagers von Text-Produzenten und Gegenkultur-Ratten.“
Genau diese Menschen sind es, die der 32-Jährige norwegische Künstler und Schriftsteller Matias Faldbakken zuvorderst im Visier hat mit seinem Roman. Ihnen will er gehörig den Marsch blasen, auf dass sie bedenkenträgerisch die Stirn runzeln, auf dass sie sich fürchten vor dieser losgelassenen Subkultur, vor bigotten Verrätern wie Macht und nihilistischen Ex-Undergroundlern wie Rebel. Ist der eine ein bekannter Feind, der nichtsdestotrotz ein paar Leichen im Keller hat, mit seinem Faible für Scorseses Taxi Driver etwa, so entwickelt sich der andere zu einem Monster. Rebel kommt auf den Trichter, dass Politik doch nochmal ein interessantes Betätigungsfeld könnte, ausgelöst durch ausgerechnet die Lektüre von „Mein Kampf“.
So ist „Macht und Rebel“ ein Buch, das Seite für Seite eine einzige Provokation darstellt – ein Roman, der Milieus in Flammen setzt, ohne ihnen eine Chance zum Wiederaufbau zu geben, der Tabus lustvoll bricht, immer in dem Wissen, dass diese sowieso schon gebrochen worden sind, der Zeichen, Codes und Logos durcheinander wirbelt.
Ob Rebel sich von faschistischer Rhetorik inspirieren lässt und diese zur Anwendung bringt, um einen Konzern vom Verdacht des Antisemitismus zu befreien, ob sich Migrantenkids Nazi-Embleme tätowieren lassen oder mit Rebel eine Party von Linken und Globalisierungsgegnern crashen oder ob genau Letztere auch nur Perverse, Volltrottel und Oberkapitalisten sind: Kein ideologischer Grenzzaun bleibt hier stehen, kein richtiges Leben gibt es hier im falschen.
Darüber hinaus vermittelt „Macht und Rebel“ mit seinem politisch inkorrekten Irrsinn den Eindruck, als hätte es Faldbakken als affektreiche Reaktion auf genau die Reaktion geschrieben, die der erste Teil seiner „skandinavischen Misanthropie“ ausgelöst hat, „The Cocka Hola Company“: Nach anfänglicher Skandalisierung entwickelte sich dieser Roman zu einem Bestseller. Er handelt von einer Gruppe anarchistischer Pornofilmer, die mit aller Macht und allen Geschmacklosigkeiten die skandinavische Konsenskultur attackieren, insbesondere den von allem und jedem faszinierten Kulturbetrieb, die alles verderbende „Faszinationsgeneration“. Nur landet am Ende einer der Protagonisten in einer Talkshow, geliebt und umarmt von genau dieser Faszinationsgeneration, und erklärt dort: „Zustimmung ist der Satan.“
„Macht und Rebel“ konterkariert diese Zustimmung nicht nur mit einem Wahnsinnsplot, sondern mit Pädophilie, Drogen, Gewalt und vor allem: mit radikalem Nazischick, mit unverhohlener Faschismuskoketterie. Allein der Titel spielt auf den Nacht-und-Nebel-Erlass der Nazis 1941 an, auf den hin in Norwegen zahlreiche Widerständler deportiert wurden; ein Zitat von Wilhelm Keitel, dem Oberbefehlshaber der deutschen Wehrmacht, ist dem Roman vorangestellt, „Kraft durch Freude“ ist eines seiner Leitmotive, und dann sind da eben noch Rebels Schriften, die auf Hitlers Reden basieren und Zitate daraus enthalten.
Das ist durchsichtig provokant, das ist weit über die Grenzen des Tolerierbaren gestreckt und wird wohlmeinende Kulturarbeiter scharenweise auf die Barrikaden treiben; und das wirft die Frage auf, ob Faldbakken selbst unbeschadet aus diesen dunkelbraunen Ecken wieder herausgekommen ist. Im Kern jedoch führt er nur weiter, was seit Anfang der Neunzigerjahre zum durchschnittlichen Popdiskurs gehört: Dass die Kids schon lange nicht mehr allright sind, dass die Subkulturen auch nicht mehr das sind, was sie mal waren, dass Pop noch nie unschuldig war und auch von rechts genutzt wird; und dass jeder Kampf gegen die Globalisierung, gegen Nike oder McDonald’s, gegen die Macht der Logos, ein doppelbödiger ist, wenn er selbst zum Erfolgsmodell wird, zur gut verkäuflichen Ware.
Nichts Neues also unter dem Pop- und Rebellionshimmel, das aber umso radikaler. Faldbakkens Roman erinnert in seiner genau so überdrehten wie genauen Beobachtungsgabe an Michel Houellebecq, kommt aber ohne Moral und Romantik aus; er hat viel von dem Furor eines Bret Easton Ellis, nur dass der ganze Sex und die ganze Gewalt keinen stillen Schrei nach Liebe und Moral darstellen; sprachlich, stilistisch und mit seinen filmreifen Settings wiederum hat er etwas von Irvine Welsh (und ist wie Faldbakkens Erstling von Hinrich Schmidt-Henkel toll übersetzt); und schließlich steht hier ein Celine mit seiner nihilistischen Welt- und Selbstzerstörung Pate, nur dass der Feind in „Macht und Rebel“ nicht nur die Bürger, sondern auch die eigenen Leute sind.
Nun könnte es sein, dass die Karawane schon weitergezogen ist und für die heute 20-Jährigen christlich-soziale Werte und Gemeinsinn und Nächstenliebe oberste Subversionsstrategien sind. Solange die sich aber so gar nicht artikulieren wollen, um der Tristesse adieu sagen, solange steht Faldbakkens brutale, ohne Hilferuf auskommende Abrechnung im Raum. Das Ende seines Liedes ist ein furioser Showdown und eine Ode aufs Biertrinken. Wäre es ein chinesisches Arbeitslager gewesen oder ein T-Shirt mit dem Aufdruck: „Popculture sucks more than ever“, es hätte einen auch nicht gewundert.
Matias Faldbakken: „Macht und Rebel“. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Blumenbar Verlag, München 2005. 352 S., 18 €