: Darf es einmal nicht „fünf vor zwölf“ sein?
TAZ.LAB 2013 Der nächste taz-Kongress findet am 20. April statt. Das Thema: Was sind die besten Ideen für eine gute Zukunft? Wer könnte sie realisieren? Und wo sind die Bewegungen, die eine erschütterte Welt bessern können? Die taz, ihre LeserInnen und GenossInnen bieten für diese Fragen ein Forum
VON JAN FEDDERSEN
Die Krise, immer die Krise. Überall Verderbnis, Unfähigkeit, Versagen, Inkompetenz. Und gibt es einen Ausweg? Hat irgendjemand mehr als beinah überkluges Reden parat? Weiß jemand mehr zur Lage der Welt beizutragen als ein zornig inszeniertes Seufzen, das in der Fantasie gipfelt: Hätte man bloß auf mich, auf uns gehört?
Wenn eines am Diskurs zur Krise (des Politischen, des Demokratischen, des Ökonomischen) langweilt, dann die ewig angehängte Formel, der Kapitalismus trage Schuld und müsse beseitigt werden. Was für ein idealistischer Dünnsinn. Man hört es ja immer, auch in dieser Zeitung: „Die Systemfrage!“ oder „der globale Kapitalismus“. Das Erzählmuster ist freilich immer das gleiche; streng religiöse Menschen legen sich die Deutung der Welt ähnlich wie viele wahrscheinlich verzweifelte Linke verwandt zurecht: Hat doch gar keinen Zweck – soll doch die Apokalypse kommen. Lasst alle Hoffnung fahren, die Liebe, den Glauben – einerlei.
Aber wäre das nicht trostlos? Vielleicht nicht allein zu den weihnachtlichen Tagen, aber besonders dann? Anzunehmen, dass alles Wünschen und Wollen im Sinne einer besseren Welt zu nichts führt?
Denn, nicht wahr, steht nicht gerade in unseren linken Kreisen die Krise, seit eine jede und jeder denken kann, im Mittelpunkt aller Annahmen? Und wenn schon alles schlimmer wird, warum gibt es nie einen Moment, an dem es just nicht zum Allerschlechtesten steht? Darf es irgendwann einmal nicht „fünf vor zwölf“ sein?
Alles Zeigefingerrhetorik. Kritikastertum. Schlaumeierei, nicht mal auf hohem Niveau. In Wirklichkeit, könnte man sagen, arbeitet (fast) alle Welt – und jedenfalls in allen Welten, in denen die taz gelesen wird – an der Besserung dessen, was das Leben ist.
Im Kleinen wie im Großen. Wer hätte, als Zehntausende in den Siebzigern nach Brokdorf zogen, gedacht, dass es tatsächlich einmal zu einer umfassenden Energiewende kommen würde? Wer hätte ernsthaft annehmen wollen, dass die bürgerliche Welt sich Gedanken – nicht immer gute, aber oft diskussionswürdige – macht um Migration, um neue Familienformen, um die Integration von Minderheiten, die Rechte von Homosexuellen, um Feminismus im Praktischen? Ist dieses Land nicht besser geworden im Vergleich zu dem, das es vor gut 33 Jahren war?
Damals war die taz das Medium, das Kommunikationsinstrument jener, die auf Aufbruch, Protest und Weltverbesserung drängten. Grüne vor allem waren es, aber nicht nur sie. Die taz war immer dann am besten, am wütendsten, am ätzendsten, wenn es um Ideen, um Fantasien, um Projekte, um das mögliche Gute in der Welt ging. In der Nachbarschaft, in der Region, im Land – letztlich in der Welt. Gut, dass wir als taz so modern wie traditionsbewusst sind und diesen Zorn weiter kultivieren wollen: sagen, was vernünftig wäre und ist.
Am 20. April findet im Berliner Haus der Kulturen der Welt das 4. taz.lab, der taz-Kongress des Jahres 2013, statt. Das Motto: ERFINDEN. Herausfinden, suchen, gefunden haben, sie findet, er findet, wir finden. Ein Forum mit vier Dutzend Veranstaltungen – mit ExpertInnen aus etlichen Fachgebieten, PolitikerInnen, PhilosophInnen, ÖkologInnen, KlimaforscherInnen, FamilienanalytikerInnen oder WeltversteherInnen beinah jedweder Couleur. Erfindungen – für unsere Fragestellung des taz.lab heißt das etwa: Welche Medien brauchen wir wirklich? Welche Informationen sind uns wichtig? Wie sieht ein demokratisches, zivilisiertes Miteinander aus, das an der sogenannten Basis nicht als entfremdet oder fern aller Lebensrealität wahrgenommen wird? Wie geht Energiewende, wenn nicht als notwendig konflikthafte Debatte um Liebgewonnenes? Wie, das ist die Wahlfrage schlechthin, steht es um eine sogenannte Wechselstimmung im Hinblick auf die Bundestagswahlen? Hat auch das Publikum der taz mit einer Kanzlerin wie Angela Merkel Frieden geschlossen?
Wichtiger aber ist, dass Sie teilhaben und teilnehmen am taz.lab: Prüfen Sie die ExpertInnen auf ihre Tauglichkeit, teilen Sie ihnen Ihre Leidenschaften mit, Ihre Anliegen, das, was wichtig ist, was über das Private hinein Relevanz hat.
Die Bunte Liste/Wehrt Euch, das alternative Bündnis zu den Bürgerschaftswahlen in Hamburg des Jahres 1978, formulierte als ihr Motto einen Kalenderspruch Erich Kästners. Es ließe sich sagen: Ein Merksatz, der seine christlich unterfütterte Gedanklichkeit kaum verhüllen kann. Er lautet: „Es gibt nichts Gutes außer man tut es.“
„Erfinden“, „Erfindet“, „Probieren, verwerfen, wieder versuchen“ – wie die Überschrift unseres Forums taz.lab an diesem 20. April auch immer genau lautet: Wir hoffen, wir glauben, dass es an Erfindungen, an krassen Ideen, an tauglichen Fantasien für eine bessere Welt noch mangelt.
Einige unserer taz.lab-FreundInnen, darunter der US-amerikanische Soziologe Richard Sennett, haben schon zugesagt, nach Berlin zu kommen. Ab Januar werden wir regelmäßig über unsere Gäste schreiben – und wir setzen darauf, dass Sie uns Ihre Ideen für unseren Kongress schicken. Schreiben Sie an: tazlab@taz.de. Karten für den 20. April gibt es ab Mitte Januar über den taz.shop und auf taz.de.
Wir freuen uns auf Sie!
Jan Feddersen, 55, ist Leiter des taz.lab.