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Archiv-Artikel

Vordenker der Perestroika tot

Der verstorbene Alexander Jakowlew, ein ehemaliger Mitstreiter von Gorbatschow, brach mit dem zögerlichen Reformer. Zuletzt übte er Kritik an der Politik des Kreml

MOSKAU taz ■ Er war der intellektuelle Vordenker der Perestroika, die entscheidende Instanz, die Glasnost (Transparenz) im Reformbemühen der KPdSU in die Tat umsetzte. Zum ersten Mal erfuhren die Sowjetbürger in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre offiziell von Millionen Opfern des stalinistischen Terrors und vom Hitler-Stalin-Pakt, der die Aufteilung Osteuropas besiegelte. 1987 ernannte Generalsekretär Michail Gorbatschow den damals 63-jährigen Alexander Jakowlew zum Vollmitglied im Politbüro der KPdSU.

Kennen gelernt hatten sie sich zwei Jahre zuvor in Kanada. In einem offenen Schlagabtausch, beschrieb Jakowlew die Szene später, hätten beide festgestellt, dass es so, wie es in der UdSSR liefe, nicht mehr weiterginge. Der freimütige Dialog zwischen dem Politbüromitglied und dem nach Kanada zwangsversetzten Botschafter war für den Umgangsstil der Partei ein Novum.

Die KPdSU hatte Jakowlew in den 70er-Jahren ins diplomatische Exil abgeschoben. Anlass war ein Aufsatz, in dem der Historiker sich besorgt über antisemitische und großrussische Tendenzen äußerte. Es wurde ruhig um den 1923 in Jaroslawl geborenen Bauernsohn, der es mit 32 Jahren zum ZK-Sekretär gebracht hatte. Die Nähe zur Macht war es denn auch, die den Widersachern als Vorwand diente, den kritischen Geist des Verrates zu zeihen. Doch Jakowlew stand zu seiner Biografie. Der Geheimdienst KGB sah in ihm einen unsicheren Kantonisten und ließ den Berater im Vorzimmer des Generalsekretärs abhören, der dem Drängen des KGB nachgegeben hatte. Jakowlew verließ den Kreml, kündigte die Beziehung zu dem zögerlichen Reformer aber nicht auf.

Er hielt es für nötig, das System gänzlich zu zerstören. Gorbatschow wollte nur teilweise demontieren, was angesichts der Totalität des Systemcharakters nicht möglich gewesen sei. Boris Jelzins Entscheidung, die Partei nach dem Putsch 1991 nicht zu verbieten, hielt er für einen kardinalen Fehler.

In Russland war Jakowlews Rat in letzter Zeit öffentlich nicht gefragt. Still erledigte er die Arbeit als Vorsitzender der dem Kreml unterstellten Kommission zur Rehabilitierung stalinistischer Opfer. In dem kleinen Institut für Demokratie produzierte er unermüdlich Dutzende Dokumentenbände, die ein Ziel verfolgten: Dekonstruktion sowjetischer Mythen. In der Suche des Kreml nach Identifikationsmomenten in der umstrittenen Vergangenheit gewahrte Jakowlew einen gefährlichen Dilettantismus. Sein Urteil gegenüber Präsident Putin wurde zuletzt schärfer. Er brandmarkte die autoritären Tendenzen als Methoden, die schon mal in die Sackgasse geführt hätten. Alexander Jakowlew starb am Dienstag in Moskau im Alter von 82 Jahren.

KLAUS-HELGE DONATH