piwik no script img

Archiv-Artikel

OFF-KINO

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Eine Zukunftsvision ohne Spezialeffekte und großen technischen Aufwand, gefilmt im winterlichen Paris: Für „Alphaville“ (1965) verfremdeten Jean-Luc Godard und sein Kameramann Raoul Coutard einfach ein wenig die Realität. Im damals hochmodernen Viertel La Defense funktionierten sie ein Esso-Verwaltungsgebäude zur Machtzentrale eines totalitären Staates um, der an die Stelle von Liebe und Poesie die Diktatur der kalten Logik setzt. Der alles beherrschende Supercomputer Alpha 60, laut Godard „ein Philips-Ventilator für drei Dollar, von unten angeleuchtet“, wird schließlich besiegt vom Geheimagenten Lemmy Caution (Eddie Constantine), der eine sehr einfache Frage stellt. (1. 1. Zeughauskino)

 Mit „The Age of Innocence“ unternahm Martin Scorsese 1993 einen Ausflug ins Kostümgenre und verfilmte einen Gesellschaftsroman von Edith Wharton, der von der Bedeutung der Konventionen in den New Yorker Salons der 1870er Jahre erzählt. Nicht zuletzt deshalb folgt Scorsese mit einer niemals stillstehenden Kamera jeder Geste und jedem Blick seiner Protagonisten in einer Geschichte, in deren Mittelpunkt die kürzlich zurückgekehrte Gräfin Ellen Olenska (Michelle Pfeiffer) steht, die aufgrund einer unglücklichen Ehe in Europa nunmehr von der Gesellschaft geschnitten wird. (OF, 1. 1. Arsenal 1)

 Die feine Gesellschaft und ihre überholten Rituale zum Zweiten: Kurz nach dem Ersten Weltkrieg drehte Ernst Lubitsch die groteske Satire „Die Austernprinzessin“, in der er schamlos übertreibend das Zusammentreffen eines kulturlosen amerikanischen Kapitalisten und eines völlig verarmten Prinzen inszenierte. Der neureiche „Austernkönig“ wohnt im Schloss und wünscht für die verwöhnte Tochter einen echten Prinzgemahl, der Adelige hingegen haust (immerhin mit snobistischem Diener) in einer ärmlichen Wohnung im Hinterhof. Er hat kaum eine Wahl. (27.12. Filmmuseum Potsdam)

 Es ist die Schnittstelle verschiedener Kulturen, die den Dokumentarfilmer Volker Koepp am meisten interessiert. 2001 fand er sie für einen gleichnamigen Film auf der Kurischen Nehrung, einem rund hundert Kilometer langen, aber nur wenige Kilometer breiten Landstreifen, der das Memeldelta von der Ostsee trennt: Früher ein Teil von Ostpreußen, ist der südliche Teil heute russisches Staatsgebiet, der nördliche Teil gehört zu Litauen. Protagonisten dreier Volksgruppen erzählen von Traditionen und Hoffnungen, und der Begriff Heimat leitet sich dabei – wie immer in Koepps Filmen – stets aus der Verwurzelung in Landschaft und Gebräuchen ab, niemals jedoch aus Staatsgrenzen. Die Zukunft ist multinational. (2. 1. Arsenal 2)