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Archiv-Artikel

Ich brauche ein Regal

INTERESSANT Rafael Horzons vielleicht größter Geniestreich war der Entwurf des Regals Modern, das er in seinem Möbelladen verkauft. Jetzt hat er dem guten Stück einen Song gewidmet, den Peaches singt

Enttäuscht ziehen die einen weiter. Die anderen tanzen im Nebelmaschinendunst

VON LISA FORSTER

Rafael Horzon ist bekannt als Mensch, der interessante Dinge macht, die keine Kunst sein wollen und trotzdem welche sind. Dazu gehören unter anderem die Eröffnung der Galerie Berlintokyo mit erfundenen Werken, ein Fachgeschäft für Apfelkuchenhandel, eine Sinfonie, die aus einem 100 Stunden langen Ton von 100 Hertz besteht, der fast autobiografische Roman „Das weiße Buch“ und ein Möbelladen, der nur ein einziges Regal im Angebot hat. Ein Regal, zu dem Horzon in einer so engen Beziehung steht, dass er ihm nun auch ein Lied gewidmet hat: „Ich brauche keinen Mann / Ich brauche keine Frau / Ich brauche keinen Wal / Ich brauche ein Regal.“

Für „Me, My Shelf and I“ habe Ludwig Amadeus Horzon, so der neue Künstlername, 34 Monate lang alle Nummer-1-Hits der letzten 150 Jahre analysiert, wie er auf seiner Homepage erklärt. Aus den Analysen wurde von Armin von Milch ein „Maximalpop“-Hit geschaffen, dessen Musikvideo Horzons liebevollen Alltag mit seinem Lieblingsregal zeigt. Zusammen gehen sie duschen, segeln oder abends in den Club. Am Ende poppen im pinken Abendhorizont immer mehr Regale auf. Die kanadische Musikerin Peaches wurde für den Gesang verpflichtet.

Schon im „Weißen Buch“, dessen Erzählerstimme immer so lange Identifikationen mit Horzon zulässt, bis jemand fliegt oder sich der französische Verteidigungsminister in eine Wahrsagerin verwandelt, skizziert der Erzähler die Idee zur Herstellung dieses „völlig neuartigen, völlig rechtwinkligen, in den Proportionen menschenähnlichen Regals“. Dass das Lied zum Regal nicht in gleicher Weise komisch ist wie Horzons Roman, macht dabei erst einmal nichts.

Denn wenn er anlässlich des Songs zur „Präsentations-Gala“ in den Club „Flamingo“ einlädt, wird das neue Video dort zwar in Dauerschleife gespielt, aber dennoch geht es nicht um das Lied selbst. Dafür verschreibt es sich mit seinen 108 Beats pro Minute und der kräftig von Autotune bearbeiteten Gesangslinie zu offensichtlich einer heillos überzüchteten Radioformat-Ästhetik, dabei freilich so absurd und übertrieben, dass man sich kaum vorstellen kann, dass irgendein Radiosender das Lied spielen würde. Doch das kann man sich bekanntlich bei vielen Songs nicht vorstellen, die dann doch ihren Frequenzraum zugestanden bekommen.

Vielmehr geht es an so einem Abend um die Rezeption des Liedes als Event. Bei einer aufgeklärt-ironischen Medienöffentlichkeit erzeugt das im besten Fall Verunsicherungsmomente. Wie ernst sollte man sich diesem Song widmen, der letztlich doch „durch herrlichen Autotune-Einsatz, Kindergarten-Reime und Klaviergeklimper“ besteche, wie das Magazin Musikexpress auf seiner Internetseite schreibt?

„Me, My Shelf and I“ steht zur sogenannten Hochkultur in Opposition: Für seine konfektionierte Emotionalität wäre die Beschreibung „Plastik“ noch beschönigend. Man kann das subversive Affirmation nennen oder sich anhand von Textzeilen wie „Stahl, Saal, Zahl, Gral, Pfahl, Schakal“ an Dada-Vergleichen versuchen oder im Song die Sichtbarmachung der Verfallsgeschichte des Pop identifizieren. Die Versuchung ist groß, ihn als ironische Kritik an einer inhaltslosen Konsumorientierung der Popmusik zu deuten und ihm dadurch Sinn zu verleihen. Sicher würde Horzon so eine Auslegung dementieren, der im „Weißen Buch“ erklärt: „Du weißt doch, ich bin Unternehmer und kein Künstler.“

Es bleibt die Frage, wie sich das Publikum am Abend der Präsentation des neuen „Welthits“ verhält. Neben Freunden und Bekannten von Horzon finden sich im gut gefüllten Club Menschen, die darauf warten, dass ihre Sensationslust befriedigt wird: „Wisst ihr, ob da heute noch irgend etwas passiert?“ Irgendwann wird aber klar, dass das lautlose Musikvideo, das auf eine große Leinwand projiziert wird, und die befreundeten DJs Milch, PonyPop und Boogie Boris, die in den Räumen auflegen, eigentlich alles sind. Enttäuscht ziehen die einen weiter. Die anderen tanzen unverdrossen im Nebelmaschinendunst.

Schließlich findet sich ein einziger junger Mann, der vorgibt, sich die Single für 10 Euro an der Kasse gekauft zu haben. „Ernsthaftigkeit und Witz, das liegt bei Horzon ja immer sehr nah zusammen“, sagt er. Auf die Frage, was er zu Hause mit der Platte anstellen werde, verweist er auf deren Marktgewinn. Vielleicht könne er mir dieselbe Platte schon in einem Jahr für 11 Euro weiterverkaufen. Wäre Horzon in diesem Moment nicht gerade mit wehendem Schal auf der Tanzfläche gesichtet worden, er hätte er dem jungen Plattenkäufer nun sicher anerkennend auf die Schulter geklopft.

■ Rafael Horzon: „Me, My Shelf and I“ (Martin Hossbach/Kompakt/Rough Trade)