Im Anwohnerpark

MANJA PRÄKELS

Teil 31: Bernsteinherzen in Aspik

Mein Opa war im Widerstand.“

„Jegen Fleischesser? “

„Quatsch.“

„Die Merkel?“

„Jegen Blödheit, du Arsch.“

Kaum, dass der Morgen graute, schmetterte die Amsel ihr Lied vom höchsten Wipfel der Kastanie in die Hinterhöfe, wo friedlich schlief, wer es vermochte. Schulter an Schulter hockten Sprottenpeter und Lolle auf den Treppenstufen vor der Kaufhalle. Ihre übliche Frühlingstour durch die Parks und Kneipen rund um die kleine Straße nordöstlich des Alexanderplatzes neigte sich dem Ende zu. Zu beider Bedauern waren sie Heiko begegnet, dem alten Freund und ehemaligen Tresenhocker des blaulicht,doch war der „an den Feind verloren“, wie Sprottenpeter im Laufe der Nacht wie einen Schluckauf wiederholte. Das wiederum hatte den nachdenklichen Lolle gegen Peter aufgebracht. „Freundfeind! Schwarzweiß! Gutböse! Das ist doch was für Denkfaule!“ Schließlich hatten sie sich ganz dem Rausch hingegeben und Heiko fast vergessen.

„Ick weeß nüscht über meine Großeltern. Nur, dass die nüscht hatten.“

„Stammbäume sind wat für Angeber.“

„Und Rassekaninchenzüchter.“

Der Lärm der erwachenden Straße schwoll an wie die Brandung der Baltischen See vor einem gewaltigen Frühjahrssturm. Als der krumme Komponist noch ein Kind gewesen war, hatte ihn diese Geräuschkulisse in große Erregung versetzt. Dann war er mit der zahnlosen Babuschka den Strand abgelaufen. In aller Frühe, bevor die anderen kamen. Und aus ihrer Beute – goldbraun schimmernden Steinen – fertigten sie Glücksbringer für die Touristen.

Mein Herz ist ein Bernstein / Die Fliege schläft nur / Schlägt sie einst mit den Flügeln, bin ich fort.

Damals hatte er sich nicht vorstellen können, je an einem anderen Ort, so fern vom Meer und seiner Baba, zu leben. Nun saß er mit einen One-Way-Ticket nach San Francisco auf gepackten Koffern. Immerhin: Dort war die Brandung echt. Als es klingelte, sprang er verdutzt zur Tür. Der Flug ging doch erst in ein paar Stunden, oder hatte er sich vertan? Nein, es war nur Django, der nicht abwarten konnte, in die Wohnung zu ziehen. Der krumme Komponist ließ den besten Gitarristen der Welt in seine Küche, kochte starken Kaffee, fischte Hering in Aspik aus dem Regal und die letzten Salzgurken aus Fässchen im Kühlschrank. Django legte seinen Kopf auf den Tisch und seufzte.

„Ick werd verrückt: Dit isser!“

„Ja klar, unser aalglatter Anzugträger.“

„Und sie sind sich ganz sicher?“

Die beiden Frauen nickten. Lale versuchte, der Geste Nachdruck zu verleihen, indem sie ihre Augen weit aufriss. Hildegards Blick hingegen hing immer noch ungläubig an der Gestalt des Immobilienheinis. Was für ein mieser Typ! Und wie der jetzt auf seinem Kiefer rumkaute! Die Wirtin des blaulichtspürte, wie der Triumph heiß durch ihren Körper schoss. Es fühlte sich gemein an. Apropos: Wo waren eigentlich Starsky und Hutch abgeblieben? Die hatten sie doch neulich noch für dumm erklärt. Explosion im Hinterhof – so was käme halt vor, da könne man nichts machen. Der schmerbäuchige Polizist, der sie und Lale nun aufs Revier begleitet hatte, bestätigte das Wunder:

„Mit Ihrer Aussage haben wir ihn endgültig. Es gab ja schon den Abschiedsbrief von seinem Chauffeur …“

„Abschiedsbrief?“

„Na der hat sich doch in die Luft gesprengt. Vor der Villa des Verdächtigen.“

Lale schlang ihre Arme etwas zu fest um Hildegards Hals. Japsend befreite sich die Wirtin von ihrer besten Tresenkraft. „Komm jetzt.“ Sie unterzeichneten ihre Aussagen und liefen hinaus auf die Straße. Bis zum blaulicht war es nicht weit. Ihre Füße bewegten sich schneller und schneller. Hildegard verfluchte die elende Qualmerei. Bald sah sie nur noch den wippenden Hintern des Mädchens. Sie brauchte eine Verschnaufpause.

Das Hupkonzert vor Annes Bioladen wollte kein Ende nehmen. Seit am Morgen eine Karawane von Umzugsautos, beladen mit dem Hab und Gut der neuen Bewohner der Luxuswohnungen, die kleine Straße zwischen Friedhof, Kaufhalle und blaulichtblockierte, war der Wahnsinn ausgebrochen. Menschen schrien ein­ander an, schlugen auf Autodächer ein und schmissen Fahrräder vom Trottoir. In ihrer Not hatte sie das Treffen des Unterstützerkreises für die Notunterkunft nach hinten ins Kabuff verlegt, wo nun alle dicht gedrängt wie die Sardinen saßen, aber immerhin reden und einander verstehen konnten.

„Was haltet ihr von der Idee?“

Foto: Nane Diehl

Manja Präkels,Jahrgang 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band Der Singende Tresen. Soeben erschien beim Verbrecher Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.

Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com.

„Prinzipiell hab ich nichts gegen Feste, aber …“

„Ich finde das klasse und unterstütze euch sehr gern“, mischte sich Anne ein. Allein die Vorstellung eines autofreien Tages ließ ihr Herz höher schlagen. Die Frauen planten eine vollständige Straßensperre zwischen Turnhalle und Friedhof. In kurzer Zeit waren bereits genügend Spenden zusammengekommen, um Musikerinnen und Puppenspielerinnen zu bezahlen. Selbst Hildegard von nebenan würde sich mit einem Ausschank beteiligen.

„Vor der Turnhalle soll eine Hüpfburg stehen.“

„Na und was machen wir, wenn wir angegriffen werden?“

„Das glaub ich nicht. Von wem denn?“

„Seid ihr wirklich so naiv?“

Der Streit war bereits in vollem Gange, als Lale wie ein Wirbelwind in den Laden tobte und schrie: „Die haben ihn! Die haben das Schwein! Die haben den Bomber gefasst!“

Erneut schickte sich die Amsel an, ihren Ruf durch die Häuserschluchten zu schmettern. Diesmal würde sie den Einbruch der Nacht besingen. Es war so weit. Draußen vor der Tür trommelte der Taxifahrer bereits nervös mit den Fingern auf das Lenkrad ein. Der krumme Komponist schmiss sein klirrendes Abschiedsgeschenk auf den Tisch: „Die Miete ist bis Juni bezahlt. Strom und Gas auch. Leb wohl und Verzeihung.“

Doch Django hörte nicht. Im Kopf schrie der Gedanke: MEIN. Als die Tür zuschlug, drückte er den Schlüssel für die winzige Wohnung im letzten unsanierten Haus fest an seine Brust. Er hatte wieder ein Dach überm Kopf. Seine Hand ließ nicht los. Sie zitterte.