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Archiv-Artikel

Ein abstoßendes Trauerspiel

betr.: „Linkspartei ausgegrenzt“, „Der Weltgeist ist nur kurz zu Gast“, „Demokratie hat es jetzt nicht leichter“, taz vom 19. 10. 05, 5

Da fand eine Selbstdemontage im deutschen Parlament statt. Es wurde vorgeführt, warum unsere Gesellschaft so langweilig und unbeweglich wahrgenommen wird. Nur weil Otto Schily einmal eine launige Rede hält, jubeln wir. Toll! Wir können auch lachen! Aber schon am Nachmittag desselben Tages ist diese Hoffnung zerplatzt. Da führen sie sich vor. Sie haben den Weltgeist niemals ernsthaft in ihr muffiges Parlament oder in unsere Gesellschaft hereingelassen. Immer wussten sie es am besten.

An Herrn Bisky wiederholt sich, was an Stefan Heym in unglaublicher Weise bereits vorgeführt wurde. Sie machen ein freundliches Gesicht, seht her, wir sind doch o.k., warum seid ihr alle so miesepeterig. Geht es aber um ernsthafte oder strittige Dinge, kommt der kleinkarierte Geist zum Vorschein. Den haben sie wie eine wabernde Schicht im Laufe der Jahrzehnte über unsere Gesellschaft gebreitet. Misstrauen und Engstirnigkeit sind zwei Zutaten dieser diffusen Masse. Hoffentlich trauen sich endlich Parlamentarier, diese Schicht zu durchstechen und frische Luft hereinzulassen. Ohne Licht und Luft kann der Mensch nicht leben, wie sollte da der Weltgeist bei uns einkehren. LUISE BEIER, Hamburg

Der Tenor des Artikels ist nach meiner Meinung falsch. Nicht Bisky hat einen Denkzettel erhalten, sondern die Mehrheit, die die Wahl Biskys verhindert hat. Es zeigt einen eklatanten Mangel an demokratischen Spielregeln. JOHANN FRANKERL, Eichenau

Niemand kann mir erzählen, Lothar Bisky sei wegen mangelnder Qualifikation als Bundestagsvizepräsident abgelehnt worden. Im Brandenburger Landtag ist er seinerzeit mit Stimmen von CDU- und SPD-Abgeordneten zum Vizepräsidenten gewählt worden. Viele Abgeordnete aller Parteien halten Bisky für einen respektablen Abgeordneten.

Allerdings sind offenbar nur wenige wie Dieter Wiefelspütz (SPD) bereit, dazu auch öffentlich zu stehen. Insbesondere nicht Rainer Brüderle (FDP), wenn er sagt, die Linke müsse überlegen, ob sie bei einem weiteren Wahlgang ihren Personalvorschlag überdenke. Das wirkt auf mich wie ein Versuch der Erpressung und der Demütigung. Hingegen sagt Volker Beck (Grüne) zum gleichen Thema treffend, es gebe „kein Recht der Mehrheit des Bundestages, dort grundsätzlich Einfluss zu nehmen“.

Zwei Motive haben meines Erachtens die Verweigerer zu ihrer Haltung getrieben. 1. Sie fürchten die politische Auseinandersetzung mit der Linkspartei und versuchen stattdessen, linke Parlamentarier „mit der Stasi-Keule zu erschlagen“. 2. Neben Gysi und Lafontaine soll die Linke nicht noch ein drittes beliebtes Aushängeschild namens Bisky hinzubekommen. Dieses Verhalten ist nicht nur unpolitisch und erbärmlich, sondern auch kurzsichtig. Denn es wird – hoffentlich – genau denselben Erfolg zeitigen wie damals die Rote-Socken-Kampagne: weiteren Zulauf für die Linkspartei.

MARTIN WIESER, Bielefeld

Die Wahl der Vizebundestagspräsidenten ist auch eine symbolische Handlung. Hier soll, trotz aller Differenzen zwischen den Parteien, auch der Respekt und die Achtung vor dem politischen Gegner und vor allem auch vor deren Wähler bezeugt werden. So kommt es, dass Grüne plötzlich einen CDU Mann wählen, Liberale einen Grünen, Abgeordnete der Linken einen FDP-Mann. Ausgerechnet die Volksparteien SPD und CDU haben hier politischen Anstand vermissen lassen und ließen den Kandidaten der Linkspartei durchfallen. Dafür hat man sich zuvor schnell noch selbst ein zusätzliches Pöstchen in Form eines zweiten eigenen Vizepräsidenten gesichert, ohne Rücksicht auf die damit verbundene völlig überflüssige Kostensteigerung, die der Wähler zahlen muss.

Das was SPD und CDU im Moment bieten, ist ein abstoßendes Trauerspiel, das mit Demokratie nichts mehr zu tun hat. Frau Merkel und Herr Müntefering, was ihre Truppen sich da geleistet haben, war weder christlich noch sozial geschweige denn demokratisch – das war einfach arrogant und selbstgefällig. DIETMAR BRACH

betr.: „Nichtwahl erlaubt“ (Kein Skandal: Die Freiheit ist wichtiger als parlamentarische Zwänge) von Christian Füller, taz vom 20. 10. 05

Zu den Ausführungen fällt mir leider nur der unschöne Begriff naiv ein. Ich bitte den Verfasser, mit dies nachzusehen.

Der SPD-Rechten und der CDU hat nicht geschmeckt, dass die Linke die jeweiligen Pläne, eine Regierungsmehrheit zu erreichen, vereitelt hat. Also ist Rache Blutwurst. Aber wozu offen kämpfen, wenn man auch schön aus dem Hinterhalt draufhalten kann? Also sucht man sich eine Einzelperson aus und verbrämt seinen Ärger damit, dass es ja angeblich nur um diese Person als solche geht. Jede nachhaltige Erklärung, was denn nun an Bisky so schlimm ist, fehlt übrigens dabei bisher.

Und so wird es auch weitergehen; nur nicht aus der Deckung wagen. Bisky wird auch in den nächsten Wahlgängen durchfallen, denn andernfalls würde man sich ja selbst Lügen strafen. Wenn hiernach Gesine Lötzsch zur Wahl steht, wird diese breite Zustimmung finden, um zeigen zu können, dass es eben nicht um die Linkspartei, sondern in einem Gewissensakt nur um den bösen, bösen Bisky ging. Ansonsten ist man ja schließlich allzeit edler Demokrat.

SASCHA THEILE, Berlin

Ich halte es für sehr naiv, wenn Chr. Füller in seinem Kommentar die Lanze bricht für das Gewissen der Abgeordneten. Welches Gewissen mit welchem Inhalt meint er denn? Wo war denn das Gewissen der Abgeordneten, als sie für Hartz IV stimmten? Da wurde ohne jedes Gewissen ein Großteil der Bevölkerung in die Armut geschickt. Ich denke, dass eher Christian Semler richtig liegt, wenn er Lafontaine zitiert mit der sich bahnbrechenden Wut.

Aber nicht nur das. Es ist für meine Begriffe ein Zeichen von noch immer tief sitzendem Antikommunismus, der nun auch noch zum Antisozialismus mutiert ist. Darin waren sich schon immer alle Reaktionäre und Rechten einig, da bleibt nur zu hoffen, dass sich Geschichte nicht in einer Farce wiederholt. ILSE SCHWIPPER, Berlin

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