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Archiv-Artikel

Normalzeit HELMUT HÖGE über den Vietnam-Kongress

Der lang andauernde Krieg

Meine tschechische Freundin nahm sich nach dem Besuch des „Vietnam-Kongresses“ in der Volksbühne vor: „Nächstes Jahr mache ich in Vietnam Urlaub.“ So hatte ich mir die Wirkung der Veranstaltung nicht vorgestellt! Aber solche Privatinteressen haben jetzt Vorrang.

Auf dem 1. Vietnam-Kongress, der 1968, wenige Wochen nach der Tet-Offensive in Westberlin stattfand, war es noch darum gegangen, zwischen Saigon und Berlin eine Front zu bilden – durch In- und Extensivierung der Kämpfe hier. Dort siegten 1975 zwar die Kommunisten, hier übernahm jedoch 1990 die westdeutsche Treuhandanstalt das Regime. Politisch flankiert ausgerechnet von West-„68ern“, die sich dazu allerdings zu Menschenrechtlern, Pluralismusverfechtern und geharnischten Antistalinisten gewendet hatten und nun von „asymmetrischen Kriegen“, „Terror auf beiden Seiten“ und dem „Stalinisten Ho Chi Minh“ sprachen: auch auf dem Vietnam-Kongress der Volksbühne.

Dieser fand erstmalig unter großer Beteiligung der Vietnamesen selbst statt. Man hätte also gut und gerne das Problem, dass jetzt statt harter Klassenkämpfe eher weiche Diskurse bevorzugt werden, auch miteinander besprechen können – mindestens im Hinblick darauf, was dies für die Einschätzung des vietnamesischen Befreiungskampfes und seiner Resultate bis heute bedeutet.

Und das umso mehr, als es bereits im Vorfeld der Volksbühnenveranstaltung diesbezüglich zu Konflikten gekommen war: Zuerst störten sich vietnamesische Initiativen am Blumenarrangement im Foyer, das die nord- und die südvietnamesische Fahne zeigen sollte. Die in West- und Ostberlin lebenden Vietnamesen sind wahrscheinlich die einzige ausländische Minderheit, die sich 1989 nicht wiedervereinigte: im Westen lebten die Boat-People (Flüchtlinge), im Osten der Vietkong (Vertragsarbeiter).

Den Umstand wollte die Volksbühne „thematisieren“ – natürlich von vietnamesischen Blumenkünstlern gestaltet. Die Gründerin des vietnamesischen Selbsthilfevereins „Reistrommel“, Tamara Hentschel, zog dann ihre Teilnahme zurück: Das Arrangement sei so geschmacklos, als würde man neben eine BRD-Fahne eine Nazi-Flagge hängen.

Die Tanzgruppe des Vereins wollte trotzdem mitmachen. Hier waren es dann aber zwei Eltern, die ihren Kindern das verwehrten – vor allem, weil die Volksbühne dann nicht nur die Menschenrechtlerin Kim Phuc einlud (sie war einmal von der Illustrierten Stern „gerettet“ worden nach einem Napalm-Angriff der Amis auf ihr Dorf, bei dem sie schwer verwundet worden war). Daneben wollte man mit Bui Tin diskutieren, dem in Paris lebenden und bekannten vietnamesischen Regimegegner.

Damit machte die Volksbühne der vietnamesischen Botschaft keine Freude – und auch vielen in Ostberlin lebenden Vietnamesen nicht, die sogar von „Radio Multikulti“ nichts hören wollen: „Das ist doch der Sender, der Ho Chi Minh so schlecht gemacht hat!“ Nach Bui Tins Auftritt kam es zu Beschimpfungen – zwischen Fans und Gegnern.

Ähnliches geschah nach Jürgen Kuttners Rederunde, in der die prokommunistischen Ostler sich anschließend mit den antikommunistischen Westlern stritten. So war das auch von Kuttner „angedacht“ worden, der den Dissens sucht. Die nach Harmonie strebenden Vietnamesen stößt eine Inszenierung desselben eher ab. Vielleicht sollte man beim nächsten Vietnam-Kongress darauf dringen, dass sie die Formen der Auseinandersetzung planen.

Viele der jungen Vietnamesen schienen mir jedoch großen Gefallen gerade an dieser „Culture of Clash“ gefunden zu haben – und ihre eigenen Beiträge, z. B. ein Film von und mit einigen Schülerinnen, gehörten dann auch mit zu den besten Programmpunkten. Man kommt sich also doch von Mal zu Mal näher – aber nur gleichsam zwangsläufig – über die Generationenfolge: Ist das nicht furchtbar neodarwinistisch?