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Archiv-Artikel

„Berlin ist für mich ein Treibhaus“

Nach Jahren der Distanz steht sie wieder auf Berlin: Ein Gespräch mit der Sängerin und Musikproduzentin Annette Humpe (55) über Berlin und über Berlin-Phobien. „Es ist eine große Liebe zwischen mir und der Stadt“, gesteht die Sängerin. Kaum wieder hier, fing sie gleich wieder an zu singen

„Bahnhof Zoo, mein Zug fährt ein. Ich steig aus, gut, wieder da zu sein. Fenster auf, ich hör Türkenmelodien. Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin“

taz: 1981 haben Sie mit der Band Ideal „Ich steh auf Berlin“ gesungen. Ist das immer noch so?

Annette Humpe: Es geht mir jetzt wieder so. Zwischen 1989 und 2002, also 13 Jahre lang, hatte ich die Nase voll von Berlin. Aber jetzt bin ich wieder sehr verliebt in diese Stadt.

Warum sind Sie aus Berlin weggegangen?

Ich hatte eine Überdosis Berlin. Ich hatte irgendwie genug. Überall in meinen Lieblingskneipen und in diesen ganzen Szeneläden, fand ich, saßen die gleichen Leute und quatschten immer das gleiche Zeug. Und ich dachte, ich muss hier weg, sonst werde ich genauso. Ich bin nach London gezogen, bald darauf nach Hamburg und habe da ein Label gegründet mit Jim Rakete. In der Zeit war das auch wie Liebeskummer mit Berlin, das habe ich irgendwo sehr vermisst, weil Hamburg doch im Vergleich sehr angepasst war. Brav. Und gleichzeitig dachte ich, ich kann jetzt nicht zurückgehen. Das brauchte dann eben eine Weile.

Warum sind Sie zurückgekommen?

Ein Punkt war, dass ich mich nach dem Punk von Berlin gesehnt habe. Ganz viele Freunde sind von Hamburg nach Berlin gezogen, und auch Universal (Musikfirma), mit denen ich viel zu tun hatte. Und auch wegen meinem Sohn. Weil hier das Gymnasium nach der sechsten Klasse anfängt und in Hamburg nach der vierten. Ich wollte, dass er etwas mehr Spielraum hat und sich entfalten kann.

Haben Sie den Punk wiedergefunden?

Ja, natürlich. Der wohnt hier ja, der ist überall.

Wie hat sich die Stadt verändert?

Der Westen ist der Westen geblieben, und den Osten muss ich erst kennen lernen. Als ich zurückkam, zog ich in eine mir bekannte und gleichzeitig unbekannte Stadt zurück. Das war auch das Tolle, in etwas Fremdes und trotzdem Vertrautes zu kommen.

In Ihren neuen Liedern geht es nur um Gefühle.

In der Musik geht’s doch immer um Gefühle.

Bei Ideal ging es auch um das Leben in Berlin.

Ja, es war der Vergleich mit der Enge dort, wo man hergekommen ist, bevor man nach Berlin gezogen ist. Das Schicksal teilte ich ja mit vielen, die aus Kleinstädten ausgebrochen sind und sich hier zum ersten Mal wohl gefühlt haben.

Wann waren Sie das erste Mal in Berlin?

Ich bin das erste Mal 1974 hergekommen. Da habe ich hier eine Freundin besucht, da war ich noch in Köln an der Musikhochschule. Das hat mich so umgehauen, diese Stadt, dass ich dachte, das geht gar nicht mehr, in Köln bleiben. Ich muss sofort die Koffer packen und nach Berlin, nur hierhin.

Das ging vielen so. Etliche sind in den 80er-Jahren sogar aufgrund Ihres Liedes nach Berlin gezogen.

Und die wurden ja nicht enttäuscht, oder? Es war ja alles wahr, was ich besungen hatte. Es stimmte! Kaum fuhr der Zug am Bahnhof Zoo ein, habe ich wirklich durchgeatmet. Hab mich aufgerichtet und hatte einen anderen Drive.

Empfinden Sie das noch immer so?

Ja, das ist noch immer so. Berlin ist speziell. Ich kann mir auch jetzt nicht vorstellen, dass ich hier mal wieder wegziehe. Kann sein, dass ich woanders noch ein anderes Domizil aufmache. Zum Beispiel in Australien. Kann sein, dass ich dann im Winter später immer mal abhaue. Aber Frühling, Sommer, Herbst möchte ich schon hier sein und hier arbeiten oder einfach leben.

Sie haben sich in Berlin ja relativ schnell dazu entschlossen, wieder zu singen.

Ja. Berlin inspiriert mich einfach. Das ist eine große Liebe zwischen mir und der Stadt. Berlin ermutigt mich. Ich weiß auch, dass viele entmutigt werden, denen Berlin zu hart ist. Mir nicht. Für mich ist das hier wie ein Treibhaus. INTERVIEW: CHRISTINE BERGER