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Berliner SzeneAuf dem Balkon

Eis des Hörnchens

Manchmal standen wir beide aufdem Balkon

Die Geschichte hatte ich oft erzählt; wie das Eichhörnchen plötzlich kurz vor Weihnachten aufgetaucht war, wie es den Balkon inspiziert und aus den Zweigen und Blättern aus dem einen Blumenkasten ein Nest in dem anderen Blumenkasten gebaut hatte. Lustig war es zwischen den Blumenkästen hin- und hergesprungen. Und später hatte es manchmal minutenlang unbewegt in dem Blumenkasten gehockt und ich hatte unbewegt vor dem Fenster gestanden und Fotos gemacht. Ich hatte ihm Walnüsse hingelegt und nachdem David Bowie gestorben war, hatte ich es David Bowie genannt, auch weil sein orangefarbener Schwanz so schön in der Nachmittagssonne geleuchtet hatte.

Bald hatte das Eichhörnchen gemerkt, dass jeden Vormittag, spätestens um halb elf, zwei Walnüsse irgendwo auf dem Balkon herumliegen. Oder Apfelkerngehäuse, die es auch ziemlich gut fand; gefrorene Apfelkerngehäuse sind das Eis des Eichhörnchens. Dann war es auch nicht mehr weggelaufen, wenn ich die Balkontür vorsichtig aufgemacht hatte, und es hatte angefangen, kleine Kunststücke zu machen, sich etwa an der Wäscheleine bis unter den Blumentopf zu hangeln, der an der Wäscheleine hing, und die Walnuss, die in dem Blumentopf lag, zu greifen. So ging der Winter dahin. Manchmal standen wir beide auf dem Balkon, guckten einander an, und wer sich zuerst bewegte, hatte verloren.

Irgendwann begann es, die Nachbarschaft zu erkunden; saß auf dem Balkon des Nachbarn herum, der es mit Walnüssen zu sich gelockt hatte. Der Nachbar sagte, Bowie sei auch auf einem anderen Balkon zu Besuch, um dort Wasser zu trinken. Wie nebenbei erwähnte ich, dass Eichhörnchen Nesträuber sind, und hoffte, diese Information würde den gutmütigen Nachbarn so empören, dass er ihm keine Walnüsse mehr hinlegen würde. Detlef Kuhlbrodt

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