Das süße Gift von Mars bis Google: Immer Angst vor dem Falschen
Wir retten die WeltVonBernhard Pötter
Haben wir eigentlich noch Mars oder Snickers hier?“, fragt meine süße Tochter. Sie legt die Zeitung zur Seite, die vom millionenfachen Rückruf von Schokoriegeln schreibt, und kramt im Schrank. Nichts da. Keine Chance auf eine Sammelklage.
Aber auch so macht Mars mobil. Weil jemand ein Plastikteilchen im Schokoriegel gefunden hatte, wurden in 50 Ländern Millionen von Mars, Snickers, Milky Ways eingesammelt und vernichtet. Der Konzern warnte vor der Gefahr, an den Plastikstücken könnten sich „kleine Kinder verletzen“.
Wovor er nicht warnte: dass sich dieselben kleinen Kinder verletzen, wenn sie diese Millionen von Zuckerbomben essen, wie es eigentlich gedacht war.
Diese Version von „Mars Attacks!“ zeigt: Wir fürchten uns oft vor den falschen Bedrohungen. Für 40 Prozent aller deutschen Kinder ist Übergewicht ein dickes Problem. Trotzdem lauern die Schokoriegel in allen Supermärkten und Schulkantinen. Aber wehe, die Gefahr durch Plastikteilchen im Snickers steigt um ein paar Millionstel. Dann herrscht Panik.Auch sonst: Das selbst fahrende Google-Auto hat mit 3 (!) km/h brutal einen Bus gerammt, der mit etwa 20 km/h vorbeiraste. Aufschrei! Inzwischen sind die Roboterautos 680.000 Kilometer gefahren, es gab 13 Beinahe-Unfälle. Ich schätze mal: Säße am Steuer ein Mensch, hätte er bei dieser Fahrleistung mindestens 122 Auffahrunfälle verursacht, 17 Radfahrer umgenietet und 83-mal den Stinkefinger gezeigt. Es gibt gute Gründe, Google zu misstrauen. Rowdytum im Verkehr gehört nicht dazu.
Es ist bizarr, wie wir Risiken wahrnehmen und einschätzen. Wir ekeln uns vor Heuschrecken und Maden, essen aber Sprotten mit Haut und Haaren und Austern, die noch zucken. Manche Menschen betreten vor Angst nie ein Flugzeug, telefonieren dann aber am Handy, während sie ohne Helm freihändig Fahrrad fahren. Wir erregen uns über Pferdefleisch in der Lasagne, schlucken aber täglich das Kleingedruckte in der Fertignahrung. Wir wollen hundertprozentige Sicherheit, wenn wir Aktien kaufen, akzeptieren aber, dass mit einer Chance von 30 Prozent der Klimawandel außer Kontrolle gerät. Wir gehen regelmäßig zur Krebsvorsorge, inhalieren aber in unseren Städten trotzdem Luft aus Dieselmotoren.
Und wir schalten völlig zu Recht unsere Atomkraftwerke ab. Immerhin können wir heute noch die Strahlung aus dem Super-GAU von Tschernobyl vor 30 Jahren nachweisen. Über 50 Jahre hinweg, schätzt das Bundesamt für Strahlenschutz, wird in der Summe die zusätzliche Belastung für einen Menschen im belasteten Oberbayern bei 2 Millisievert liegen. Nicht schön. Neulich schickte mich meine Ärztin durch die Röhre des Computertomografen. Hinterher steckte der freundliche Assistent seinen Kopf noch mal aus der Tür, weil ich ihn nach der Strahlendröhnung gefragt hatte. „20 Millisievert“, sagte er fröhlich. „Alles in Ordnung.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen