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„Wir brauchen einen Tag des Innehaltens“

ARBEITSZEITEN Die Gewerkschafterin Maria Kathmann begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass am Sonntag die Geschäfte geschlossen bleiben

Maria Kathmann

■ ist beim Deutschen Gewerkschaftsbund Referentin für Gleichstellungs- und Frauenpolitik. Die 59-Jährige ist Expertin für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

taz: Frau Kathmann, das Bundesverfassungsgericht hat die Ladenöffnungszeiten an Sonntagen verboten. Wie bewerten Sie das Urteil?Maria Kathmann: Das ist eine gute Nachricht für die Beschäftigten des Einzelhandels und ihre Familien und hier vor allem für die Mütter.

Warum?

Die meisten Beschäftigten, die von unbegrenzten Ladenöffnungszeiten betroffen wären, sind Frauen. 80 Prozent des Verkaufspersonal ist weiblich. Nicht alle Mütter haben einen Partner oder Großeltern, die am Sonntag die Kinder betreuen können. Was machen die Alleinerziehenden? Sollen die immer zu ihrem Arbeitgeber sagen: Sorry, ich kann an diesem Sonntag wieder nicht arbeiten? Dann haben sie auf Dauer schlechte Karten.

Aber das Urteil ist auch von Vorteil für alle Väter. Denn jetzt ist gesetzlich eindeutig klargestellt, dass der Sonntag ein Familientag ist.

Warum ist es so wichtig, dass der Sonntag frei ist?

Das hat etwas mit Alltagskultur zu tun. Wir brauchen einen Tag des Innehaltens und der Ruhe, Stunden, in denen wir uns ausschließlich mit der Familie und mit Freunden beschäftigen. Das Gemeinschaftsleben kommt in der Hektik des Alltags ohnehin schon viel zu kurz. Und wenn dann noch der Sonntag fürs Einkaufen verwendet wird, haben wir überhaupt keine Pause mehr. Und die brauchen alle, nicht nur Kinder, die braucht auch jeder Erwachsene.

Es gibt zahlreiche Berufe, in denen geht es gar nicht ohne Sonntagsarbeit. Was ist damit?

Das Urteil wird nicht allen Berufen gerecht. Und klar ist auch, dass bestimmte Bereiche des Alltags durchgängig gesichert sein müssen, beispielsweise Gesundheitswesen, Verkehr, Polizei, Gastronomie, Feuerwehr, Medien.

Viele Frauen arbeiten hier.

Richtig. Und diese Beschäftigten haben einen Ausgleich und eine finanzielle Entschädigung verdient. Die bekommen aber leider auch nicht alle.

Sonntagszuschläge stehen immer mal wieder zur Disposition, insbesondere im Zuge der Debatte um die Ladenöffnungszeiten. Ist das mit dem Urteil jetzt vom Tisch?

Das glaube ich nicht. Wenn Arbeitgeber sparen können, dann tun sie das. Deshalb bleibt das Thema bei uns auf der Agenda, und wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass Sonntagszuschläge erhalten bleiben.

INTERVIEW: SIMONE SCHMOLLACK

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