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Archiv-Artikel

SOUNDTRACK

„Wir sind Trümmerfrauen“ singen Zucker. Aber mit Blick auf die Songs lässt sich sagen, dass ihr Geschäft wohl weniger im Wiederaufbau, sondern vielmehr in der Pflege musikalischer Ruinen besteht. Minimalistisch in Text und Textur kombiniert das Hamburger Duo Punk-Gitarre mit Synthiesound und der Unwucht der ersten Schlagzeugunterrichtsstunde, oder auch: Riot Grrrlism mit Pudel Club. Auf diese Weise wird der derzeit nicht ganz unübliche Geist einer neuen Hamburger Schule heraufbeschworen und verströmt, die sich irgendwo zwischen Aufgeklärtheit („fuck you you fucking fuckhole“), schon recht früh einsetzender Abgeklärtheit (es ist alles nicht gut), Provokation (mach irgendwas Sinnvolles und verhunger dabei fast) und bitterer Erkenntnis (die neben dir bin ich) niedergelassen hat. Das Topping für diese stets freundlich daherkommende Zeitdiagnostik liefern On+Brr als ebenfalls hiesiges Duo. Bewegungskompatibles schmutziges Synthie-Gehämmer trifft hier auf doch ausgesprochen stark an The Wirtschaftswunder erinnernden Gesang in dadaistischer Grundhaltung. Fr, 4. 1., 20 Uhr, Golem, Große Elbstraße 14

Eine mittlerweile recht prominente Figur der (ehemaligen) New Yorker Anti-Folk-Szene ist Toby Goodshank. Der in unterschiedlichste Projekte und Instrumente verstrickte Mann spielte bei den Moldy Peaches, mit Jeffrey Lewis, in ungezählten anderen Kollaborationen und hat es im Laufe der letzten zehn Jahre auf an die 30 Veröffentlichungen gebracht, die musikalisch dabei nur bedingt auf den Nenner Anti-Folk zu bringen sind. Zum einen schon nicht, weil Goodshank sich nicht liebreizend durch die Songs rumpelt, sondern tatsächlich virtuos agiert. Zum anderen nicht, da er ein breites Spektrum von Folk bis Indie abdeckt und auch textlich weniger skurril als surreal ist. Zusammengehalten wird dieses unkonventionell-poppig komponierte Ganze von einer dieser seltenen Stimmen, die live pure Verblüffung zu verbreiten in der Lage sind. Goodshank mäandert sich – und das ohne dabei gekünstelt zu wirken – durch tiefst möglichen Bass und überrascht im nächsten Augenblick mit glockenheller Stimmlage. Mi, 9. 1., 21 Uhr, Hasenschaukel, Silbersackstraße 27

Aus der Welt der schönen Klänge stammt definitiv das Hamburger Einpersonen-Stück Tellavision. Loopstations sind mittlerweile ein beliebtes, nicht immer interessantes Hilfsmittel. Hier gelingt jedoch alles und bildet die stimmige Grundlage für Fee Kürtens stimmungsvolle, flächige und stets leicht traurig-verhangene Eletropop-Songs. Ein auch düsteres, aber etwas weniger freundliches Geschwister warmen Elektropops ist Touchy Mob. Das aus Berlin stammende Ein-Personen-Projekt hüllt sich in einen gigantischen Vollbart und schwirrt auch musikalisch zwischen Verwegenheit und Schrulligkeit umher. Folk und Dancefloor, Beats und Melodien, all das, möchte man meinen, sind hier nur irgendwelches Zeug, das einzig und allein deshalb existiert, um es auf inspirierende und interessante Weise collagieren zu können. Mi, 9. 1., 20 Uhr, Westwerk, Admiralitätstraße 74NILS SCHUHMACHER