: Die Vorsätzigen
SILVESTER Der Liebling der Massen über den Geburtstag der Massen und sein Erzübel: Abgrundtief arschlose Ideen für 2013
VON ULI HANNEMANN
Silvester ist wie Geburtstag. Mithilfe des Gedächtnisses, Terminkalenders oder der tollen neuen Facebook-Chronik blickt man auf das abgelaufene Jahr zurück, zieht Bilanz, zählt seine friends und wertet es im Vergleich zu anderen Jahren – privat, beruflich, finanziell.
Silvester ist im Vergleich zum echten Geburtstag jedoch nur einer für Arme, denn alle sieben Milliarden Erdenbewohner teilen sich diesen Jubeltag. Ganz im Gegensatz zum eigenen Wiegenfest, das ich zum Beispiel mit gerade mal neunzehn Millionen Auserwählten gemein habe, die zu grüßen ich die lang ersehnte Gelegenheit an dieser Stelle endlich wahrnehmen möchte: Hallo, ihr süßen Racker! Ihr seid gut drauf; wir sind die geistige, ästhetische und saisonale Elite, Kinder eines sonnigen Spätsommertags. Kamerad Apfel ist noch nicht reif, doch Freund Zwetschge winkt schon blau vom Baume, die bunten Röcke der Bauernmädchen flattern im Wind, der bereits vom reinigenden Gewitter kündet. Okay, in Patagonien schneit es vielleicht, aber hey, scheiß doch einfach auf Patagonien!
Nun ist ein persönliches Resümee das eine, die abgrundtief arschlose Schlussfolgerung daraus, im Volksmund „Vorsatz“ genannt, das andere. Umso schwerer wiegt die Arschlosigkeit, performt man sie auch noch anlässlich des unpersönlichen Massengeburtstags Silvester. Das ist wie ausschließlich am Heiligen Abend in die Kirche zu gehen, oder politische Anliegen nur noch per Mausklick zu unterstützen, anstatt sich in einem Kordon blutrünstiger Bullen eingekeilt auf der Straße den Arsch abzufrieren. Ich denke, ich trete niemandem zu nahe, wenn ich behutsam und mit äußerster Diplomatie umschreibe, was in den calvinistischen Tröpfen, die in freudloser Selbstkasteiung Neujahrsvorsätze fassen, vorgeht und wie sie ticken: Wer Vorsätze für das neue Jahr beschließt, macht auch zum Wichsen das Licht aus.
Dementsprechend simpel gestrickt sind denn auch die gängigsten Vorsätze. Nicht wenige von ihnen sind bei Lichte besehen unsinnig, unsozial oder gar richtiggehend gefährlich. Da kann man von Glück sagen, dass die dahinterstehenden Möchtegernasketen es ohnehin nicht schaffen, ihre Vorhaben dauerhaft in die Tat umzusetzen.
Insbesondere gilt das für den absoluten Renner unter den Einfallslosigkeiten: mit dem Rauchen aufzuhören. Rauchend steht der Raucher in der Silvesternacht auf einer eiskalten Dachterrasse, in Socken, denn die Schuhe musste er im Flur der Gastgeber gleich hinter der Eingangstür ausziehen. Auf einmal bekommt er buchstäblich kalte Füße. Die Angst um die eigene Gesundheit lässt ihn völlig vergessen, dass er garantiert mal gute Gründe hatte, mit dem Rauchen überhaupt erst anzufangen. Darüber hinaus ist der volkswirtschaftliche Nutzen des Zigarettenkonsums unbestritten. Durch die Ersparnis an Renten- und Pflegekosten wiegt der frühe Tod der Raucher die teuren Behandlungen ihrer Krankheiten mehr als auf. Doch angesichts der oben angedeuteten Charaktereigenschaften des Vorsätzigen nimmt es wenig Wunder, dass ihm sein privatistisches Gejaule über das Wohl der Gemeinschaft geht.
Außerdem killt nämlicher Obervorsatz bereits im Ansatz die Erfüllung anderer beliebter Vorsätze wie das Abnehmen. Um abzunehmen, müsste man einfach nur rauchen. Das Nikotin vertreibt das Hungergefühl und die Zerstörung der Geschmacksnerven den Appetit. Wenn da jetzt bloß nicht dieses autofaschistoide Selbstversprechen Nummer eins gewesen wäre!
Ein klassisches Eigentor, denn auch dem gern gewählten Vorsatz, weniger zu trinken, wäre das Rauchen durchaus dienlich. In Kombination mit Alkohol mindert es dessen Verträglichkeit und ruft einen besonders fiesen Doppelkater hervor, der wenig Lust auf baldige Wiederholung weckt.
Ein weiterer angesagter Vorsatz ist, sich im kommenden Jahr gesünder zu ernähren. Doch wer abnimmt, lebt ja ohnehin schon gesünder, und wer raucht, nimmt ab. Ähnliches lässt sich über den fragwürdigen Entschluss sagen, im neuen Jahr mehr Sport zu treiben, doch die meisten machen das ja gleichfalls nur, um abzunehmen. Die simple Lösung: rauchen.
Und so weiter. Der Vorsatz, in Zukunft Stress zu vermeiden: Eine der größten anzunehmenden Stresssituationen ist der Entzug, also besser, man raucht weiter. Der Vorsatz, mehr Zeit für sich selbst zu haben: Wer raucht, stinkt; wer stinkt, ist allein; wer allein ist, hat mehr Zeit für sich selbst – so einfach ist der Dreisatz. Der Vorsatz, Geld zu sparen: Sogar das kann man als Raucher, denn was man für Zigaretten ausgibt, holt man locker wieder rein, indem man bei den Ausgaben für Alkohol, gesunde Nahrung und Sport spart.
Das waren jetzt also die sogenannten guten Vorsätze. Doch was ist mit den „schlechten“? Immerhin sind die doch weit weniger als die guten mit dem Makel eines weinerlichen Protestantismus behaftet.
Betrachten wir einmal die „Vorsätzliche Körperverletzung“. Die heißt nicht umsonst so, sie ist der schlechte Paradevorsatz schlechthin. Kandidaten gibt es eigentlich immer. Blenden wir zunächst die üblichen Verdächtigen aus, deren Wahl noch unter „guter Vorsatz“ gefallen wäre (Kristina Schröder, Atze Schröder, Gerhard Schröder), und kommen auf den essenziellen Kernvorsatz, der da lautet: „Im nächsten Jahr nehme ich mir vor, meinem Nächsten noch viel öfter grundlos eine zu kleben.“ Ein Vorsatz, der, nur für sich betrachtet, genauso geradlinig und unverfälscht ist wie die Vorsätze, häufiger zu lügen, zu betrügen, mehr Geld auszugeben, das einem nicht gehört, sich weniger sozial zu engagieren, die Umwelt gründlicher zu versauen, Minderheiten mehr zu dissen und auf jeden Fall im kommenden Jahr noch viel, viel arroganter zu sein. Doch auch hier ist meine Kritik an den Anlass gebunden: Warum werden all diese Entschlüsse ausgerechnet an Silvester gefasst und nicht beliebig das ganze Jahr über? Dass das elegant möglich wäre, macht uns die Politik doch schließlich vor.