: Mit einem Strumpfband in der Wäsche
Nikolaus Heidelbach hat Hans Christian Andersens Märchen illustriert, und wir dürfen staunen
Zum ersten Mal begegnete mir der Name Nikolaus Heidelbach in den Neunzigerjahren. Der Mann machte unglaublich schöne Umschläge für großartige Bücher. Um nur zwei zu nennen: Seine Umschlagbilder für Kinky Friedmans „Wenn die Katze weg ist“ und für „Pink Vodka Blues“ von Neal Barrett jr. habe ich mir bis heute nicht sattgekuckt.
Sein Opus magnum entdeckte ich erst 2003 – Heidelbach hatte es vorgelegt, noch bevor er 40 Jahre alt wurde. 1995 erschienen bei Beltz & Gelberg die „Märchen der Brüder Grimm“ mit Bildern von Nikolaus Heidelbach, der auch die Auswahl der Texte besorgte. Das prächtige, erfreuliche 384 Seiten dicke Buch ist eine Fundgrube des Glücks. Heidelbachs Bilder sind der ganz und gar unverfälschten Sprachmacht der Märchen ebenbürtig: Sie sind Kunst, sie sind wahrhaftig, sie verniedlichen und kindertümeln nicht, sie zeigen eine Welt der doppelten Böden, zwischen Traum und Albtraum, abgründig, gruselig, anrührend und komisch. Michael Maar schwärmte in der FAZ: „Nikolaus Heidelbach hat ein Werk geschaffen, das in jeden Haushalt gehört … Wenn ich allein auf eine Insel müsste, dann mit diesem Buch.“
Im Jahr 2004 zogen Zeichner und Verlag nach, mit einer ebenso liebevoll fett ausgestatteten Ausgabe der Märchen von Hans Christian Andersen, und die Freude ist womöglich noch größer – denn diesmal sieht man handkehrum die Texte auf Augenhöhe mit den Heidelbach’schen Bildern. Wer – wie ich – Andersen zumindest im Vergleich mit den Brüdern Grimm eher gering schätzte, darf sein Urteil revidieren: Der Mann konnte es anders, aber er konnte es auch. Der gemeinsam mit Hans-Joachim Gelberg getroffenen Auswahl ist dieses Zitat von Andersen vorangestellt: „Man soll jedes Ding beim Namen nennen, und wagt man es im Allgemeinen nicht, so soll man es im Märchen können.“
Andersens ironisch-satirische Züge finden sich vor allem in den weniger berühmten Märchen. „Die Stopfnadel“ beginnt so: „Es war einmal eine Stopfnadel, die hielt sich für so fein, dass sie sich einbildete, sie sei eine Nähnadel.“ Und auch sein Märchen „Der Kragen“ hält, was der Anfang verspricht: „Es war einmal ein feiner Kavalier, dessen ganzer Hausrat aus einem Stiefelknecht und einer Haarbürste bestand. Aber er hatte den schönsten Halskragen der Welt, und von diesem Kragen werden wir eine Geschichte hören. Er war jetzt so alt, dass er daran dachte, sich zu verheiraten, und da traf es sich, dass er mit einem Strumpfband in die Wäsche kam.“
Mit einem Strumpfband in der Wäsche liegen – was für ein Glück! Heidelbach schenkt den Märchen in mehr als 120 Bildern noch ein zweites Leben. Das Wort Genie wird für gewöhnlich inflationär gebraucht – hier stimmt es einmal. Wer das nicht blöde glauben, sondern schön selber kucken will, kann sich davon zumindest teilweise sogar im Original überzeugen: Etwa 60 Exponate von Heidelbach bilden das Herzstück der Ausstellung „Däumelinchen, Nachtigall und Zinnsoldat – Märchenbilder zum 200. Geburtstag von Hans Christian Andersen“. Geboten werden in der Sammelausstellung auch Bilder von gut drei Dutzend anderen Illustratorinnen und Illustratoren, unter ihnen Rotraut Susanne Berner, Tatjana Hauptmann, Janosch und Werner Klemke. Und drei Grässe gibt es, Zeichnungen von Günter Grass – Dokumente einer Mixtur aus Unfähigkeit und Kitschdrang, die jeden Blindenhund zum Knurren bringen. Wer sich mit einer Überdosis Stümperei die Kante geben möchte, kann das tun: Unter dem grasstypisch aufgeblasenen Titel „Der Schatten. Hans Christian Andersens Märchen – gesehen von Günter Grass“ erschien 2004 bei Steidl der bislang letzte Beweis dafür, dass Grass tatsächlich noch schlechter zeichnen als dichten kann. Die Gesetze der Perspektive sind ihm fremd, von der menschlichen Anatomie weiß er nichts. Wie man sich aber in Gratisblättern wie dem Bahnmagazin mobil abziehbildmäßig als Kunstgewerbler aufmaschelt, davon versteht Günter Grass alles.
Zurück zur Schönheit, zurück zu Nikolaus Heidelbach. Siebzehn der von Albrecht Leonhardt aus dem Dänischen übersetzten Märchen gibt es auch in einer aufwändigen 3-CD-Aufklappschachtel. Neben Fritzi Haberland, Christiane Paul und Daniel Stresow, die bei aller schauspielerischen Professionalität vor allem ganz natürlich lesen, also kunstvoll statt gekünstelt, ist auch Heidelbach selbst zu hören, der sich fünf besonders ironische Märchen ausgesucht hat. In „Es ist ganz gewiss“ heißt es über eine Henne: „Und dann erzählte sie, sodass den andern Hühnern die Federn zu Berge standen und der Hahn den Kamm fallen ließ.“
Dass er selbst derart furchteinflößend klänge, muss der Vorlesenovize Heidelbach überhaupt nicht fürchten: Man hört, dass er die Texte bis in ihre letzte Nuance ausgelotet hat. Was seine augenöffnenden Bilder ohnehin beweisen. WIGLAF DROSTE
Hans Christian Andersen: „Märchen“. Aus dem Dänischen von Albrecht Leonhardt, mit Bildern von Nikolaus Heidelbach, Beltz & Gelberg, 375 S., 38 € „Märchen“, gesprochen von Fritzi Haberland, Nikolaus Heidelbach, Christiane Paul und Daniel Stresow. Hörcompany, 3 CDs, 19,90 €Ľ„Däumelinchen, Nachtigall und Zinnsoldat – Märchenbilder zum 200. Geburtstag von Hans Christian Andersen“, Staatsbibliothek Berlin, Potsdamer Str. 33, Mo.–Fr. 10–17, Sa. 10–18 Uhr, noch bis zum 3. 12. 05