Gelöschte Barrikaden

Wenn der Straßenkampf der Müdigkeit weicht: Philippe Garrels preisgekrönte „Unruhestifter“ (22.45 Uhr, Arte)

Manchmal ist das Fernsehen schneller als das Kino, und Kostbarkeiten der Filmkunst werden ausgestrahlt, lange bevor an eine Kinoauswertung überhaupt zu denken ist. Dies ist der Fall, wenn Arte heute „Les amants réguliers“ („Unruhestifter“) zeigt, den neuen Film des französischen Regisseurs Philippe Garrel. „Les amants réguliers“ lief vor wenigen Wochen im Wettbewerb des Filmfestivals von Venedig. Dort erhielt der Film gleich zwei Preise: einen Silbernen Löwen für die Regie und eien Auszeichnung für William Lubtchanskys Kameraarbeit. Ob und wann er in Deutschland in die Kinos kommt – wo er seiner betörend schönen Schwarzweißfotografie wegen hingehört –, ist noch offen.

„Les amants réguliers“ spielt in den Jahren 1968 und 1969 in einem Paris, das von den Studentenunruhen gezeichnet ist. Er schaut einer Gruppe junger Leute zu, wie sie sich zunächst dem Kampf verschreibt, später dem Opium und den Wirrnissen einer Liebe, die sich gerade als freie zu erproben beginnt. „Les amants réguliers“ gliedert sich in drei Teile und eine Coda. Im ersten Teil rückt Garrel die Politisierung und die Kämpfe in den Mittelpunkt, im zweiten die Verliebtheit der beiden Hauptfiguren François (gespielt von Garrels Sohn Louis Garrel) und Lilie (Clotilde Hesme), im dritten geht es um das allmähliche Auseinanderfallen der Gruppe und der Paare. „Les amants réguliers“ ist eine dreistündige Meditation in Schwarzweiß; den Straßenkampf fängt der Film in lang stehenden Tableaus ein: links ein umgestürztes Auto, rechts die brennenden Barrikaden in der Nacht, dazwischen junge Leute, von hinten gefilmt und von Gegenlicht angestrahlt, so, dass ihre Konturen leuchten. Losgelöste Satzfetzen, Polizeisirenen in der Ferne, nach einiger Zeit erst folgt ein langsamer Schwenk.

Zwar neigt Garrel dazu, Gesichter in Nahaufnahmen einzufangen und dabei aus den Köpfen verschattete Landschaften zu bilden, doch tritt er dabei den Figuren niemals zu nahe. Sein Film ist diskret und antipsychologisch. Hin und wieder flicht er eine für die Nouvelle vague charakteristische Spielerei ein. Welches Jahr ist, zeigen Hausnummern: 68, später 69. Nachdem François eine Pille eingeworfen hat, löst sich der Straßenkampf in eine Sequenz auf, in der die Darsteller Kostüme aus dem Jahre 1789 tragen. Je länger „Les Amants réguliers“ voranschreitet, umso mehr weicht das Politische einer umfassenden Müdigkeit. Ein Aktivist verabschiedet sich in den Untergrund, indem er einen Brief hinterlässt: „Ihr seid zu bourgeois.“

Und obwohl Garrel keinen Zweifel an seinem resignativen Blick auf das Jahr 1968 lässt, bleibt doch unschlagbar cool, wie Clotilde Hesme in Jeans, Stiefeln und weißem Männerhemd durch die Szenen geht. C. NORD