: Die Regiefirma
KOLLEKTIV Drei Theaterregisseurinnen haben sich zusammengeschlossen und erleben die Kooperation als Glück. Derzeit arbeiten sie an einer Trilogie über Kriegsheimkehrer. Im Theater unterm Dach ist der erste Teil zu sehen
INGRUN ARAN
VON TOM MUSTROPH
Ja, gibt es das noch? Drei Frauen, die im prekären Bereich der freien darstellenden Kunst tätig sind, sich dabei objektiv um die gleichen kargen Fleischtöpfe zanken müss(t)en, sich aber nicht als Konkurrentinnen begreifen, sondern in der Zusammenarbeit sogar ungeahntes Glück erleben und daher – zumindest im Moment – ohne jede Bitterkeit auf ihr Berufsfeld blicken. Das gibt es tatsächlich, mitten in Berlin.
Ingrun Aran, Wenke Hardt und Miriam Sachs bilden das Drei-Frauen-Kollektiv fiktion & forschung. „Wir bereichern uns künstlerisch gegenseitig. Wir nehmen uns Arbeit ab. Und wir verhelfen uns gegenseitig zu Jobs“, fasst Ingrun Aran die Win-win-win-Situation zusammen. Ihre Kolleginnen Miriam Sachs und Wenke Hardt stimmen lebhaft zu.
Gerade sind sie mit „Odysseus. Krieg. Entzug“, dem ersten Teil ihrer Trilogie um Kriegsheimkehrer und Kriegstraumata, beschäftigt. Diese szenische Installation mit Filmcollagen und medizinischem Überbau zur Figur des Odysseus als Kriegsheimkehrer verantwortet Sachs als Regisseurin. Hardt war als Dramaturgin und Produktionsleiterin tätig, während Aran als Kamerafrau für einige Filmeinspielungen zur Verfügung stand. Premiere ist nächste Woche im Theater unterm Dach.
Im Juni folgt Hardts Projekt „Schlachthof 5“ nach dem Bombenkriegsverarbeitungsroman von Kurt Vonnegut. Im Herbst kombiniert Aran Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ mit den Kriegserlebnissen ihres Vaters. Den hatten auf dem Sterbebett 64 Jahre nach Kriegsende die eigenen Schlachtfelderfahrungen so eingeholt, dass er Befehle brüllend und imaginärem Beschuss ausweichend aus dem Leben schied. Bei beiden Projekten sind die jeweils nicht Regie führenden Partnerinnen als Dramaturgin, Produktionsleiterin und Kamerafrau tätig.
Als Bereicherung bezeichnen alle drei die bisherige Zusammenarbeit. „Der Regieberuf ist über weite Teile ja ein sehr einsamer Beruf. Man verbringt viel Zeit mit dem Beantragen von Geldern. Im Probenprozess lastet alle Verantwortung auf einem selbst. Und wenn man mit dem Regieführen einmal angefangen hat, dann werden die Gelegenheiten, anderen über die Schulter zu gucken, extrem selten“, beschreibt Hardt ein strukturelles Manko ihres Berufs.
Jetzt gab sie sich aber ganz dem Luxus hin, in der zweiten Reihe zu sitzen und mit etwas mehr Abstand auf die Konstellation Regisseurin/Schauspieler zu blicken. „Das verhilft zu mehr Gelassenheit“, hat auch Miriam Sachs beobachtet, die bei einem ersten gemeinsamen Projekt, Ingrun Arans Kafka-Inszenierung „Der Bau“, als Dramaturgin dabei war. Als Regisseurin hat Sachs es wiederum genossen, in ihren Kolleginnen zwei Künstlerinnen zu haben, die wissen, was es bedeutet, zu inszenieren. „Da konnte man sich endlich einmal über diese schrecklichen Schauspieler austauschen, darüber, wie wenig dankbar die sind, wenn man Gastspiele organisiert. Aber auch auf dem Set selbst war es einfacher. Ich musste Ingrun nicht groß etwas erklären beim Filmen. Die Zusammenarbeit erfolgte oft intuitiv, weil sie wusste, was zu tun war“, meint Sachs. Aran ihrerseits schätzte an ihrer Dramaturgin Sachs, dass diese vor dem Hintergrund der eigenen Inszenierungskompetenz eher auf wunde Punkte aufmerksam machen konnte als Dramaturgen ohne Regieerfahrung. „Die sagen doch oft nur die Sachen, die ich ohnehin schon weiß“, meint sie.
Probleme bringt die Zusammenarbeit aber auch mit sich. Nicht so sehr in rein künstlerischen Aspekten. Hier ist der Respekt vor der jeweiligen Inszenierungspraxis groß genug, um derjenigen, die Regie führt, auch Raum zu geben. Es hakt mehr im organisatorischen Bereich. Dass die Art der Probenorganisation differiert, werten die drei noch eher positiv als „Vielfalt“. Aber beim Anträgeschreiben sind die Herangehensweisen doch sehr unterschiedlich. „Ich will das immer frühzeitig fertig haben. Die anderen beiden laufen eher in letzter Minute zu großer Form auf. Wenn dann nicht genug Zeit bleibt, hat man eher das Gefühl, man streiche sich gegenseitig in den Anträgen herum und alles dauere länger“, beschreibt Sachs eine größere Problemzone.
Das ist paradox, denn eigentlich war die Zusammenarbeit ja mit Blick auf die Synergien im organisatorischen Bereich in Angriff genommen worden. Dass die Gemeinsamkeiten bei der Themenfindung und der rein künstlerischen Tätigkeit nun aber so groß sind, ist ein unerhoffter Bonus. Den erfahren aber nur die, die eine Kooperation auch wagen.
■ „Odysseus. Krieg. Entzug“ im Theater unterm Dach, Danziger Straße 101, 10.–13. Januar, 20 Uhr