: Standhafte Zeugin
Verteidigung konnte zentrale Belastungszeugin im Ehrenmordprozess nicht in Widersprüche verwickeln
BERLIN taz ■ „Ich wünsche Ihnen, dass sie mit ihrem Leben zurande kommen.“ Mit diesem lapidar klingenden Satz hat gestern Heinz Peter Plefka, Jugendrichter am Berliner Landgericht, Melek A. aus dem Zeugenstand entlassen. Die 18-Jährige wurde ins Zeugenschutzprogramm der Berliner Polizei aufgenommen und hat unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen dreimal im so genannten Ehrenmordprozess ausgesagt. Sie blieb dabei: Die drei Brüder Mutlu, Alpaslan und Ayhan Sürücü sollen gemeinsam ihre Schwester Hatun getötet haben. So habe es Ayhan Sürücü, ihr damaliger Freund, ihr erzählt.
Die 23-jährige Deutschkurdin Hatun Sürücü war im Februar in Berlin-Tempelhof in der Nähe ihrer Wohnung auf offener Straße erschossen worden. Seit sechs Wochen stehen drei ihrer insgesamt fünf Brüder wegen gemeinschaftlichen Mordes vor Gericht. Nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft soll Mutlu, 26, die Waffe besorgt, Alpaslan, 25, bei der Tat Schmiere gestanden und Ayhan, 19, seine Schwester erschossen haben. Ihr Motiv laut Anklage: Der Lebensstil der Schwester habe die Familienehre verletzt. Zu Prozessbeginn hat Ayhan die Schuld auf sich genommen, die beiden anderen Brüder bestreiten jede Beteiligung an der Tat.
Als Melek A. gestern nach vierwöchiger Pause noch einmal vor das Gericht trat, wirkte sie wieder sicher und ruhig. Klar beantwortete sie die vielen Detailfragen, die die Verteidiger ihr stellten. Immer wieder aber griffen auch ihre Rechtsanwältin und der Richter ein, um die Verteidiger zu bremsen. Anders als bei der zweiten Aussage gelang es diesen nicht, die Zeugin in Widersprüche zu verwickeln und ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Das aber ist für die Verteidigung zentral: Denn Melek A. ist die Hauptbelastungszeugin der Staatsanwaltschaft; vor allen von ihrer Aussage hängt die Zukunft von Alpaslan und Mutlu Sürücü ab. Das Problem dabei: Das weitaus meiste weiß Melek A. allein von Ayhan, der ihr von der Tat erzählt hatte. Kein Wunder also, dass Rechtsanwalt Heinz Möller, der Verteidiger des ältesten Bruders, immer wieder nachfragte, ob Ayhan ihr vielleicht gar nicht die Wahrheit gesagt habe.
Zumindest zwei andere Zeugenaussagen widersprechen den Angaben von Melek A. So hatte letzten Mittwoch Alpaslans Ehefrau das Alibi ihres Mannes bestätigt. Die 25-Jährige war die erste Familienangehörige, die die Aussage vor Gericht nicht verweigerte. Sie gab an, Alpaslan sei zur Tatzeit bereits zu Hause gewesen. Eine Beteiligung ihres Mannes an einem Ehrenmord könne sie sich nicht vorstellen: „Wenn er seine eigene Schwester umbringt, weil sie kein Kopftuch trägt, müsste ich längst tot sein“, sagte die Zeugin, die in figurbetonter Kleidung und ohne Kopftuch vor Gericht erschien.
Nach Angaben von Verteidiger Möller soll Ayhan zudem seinem besten Freund genau das Gegenteil von dem erzählt haben, was Melek A. erfahren haben will: dass er die Tat nämlich ganz allein begangen habe. Dies soll der Freund bei der Polizei zu Protokoll gegeben haben. Er wird morgen vor Gericht aussagen. Ein Urteil ist frühestens Mitte November zu erwarten.
SABINE AM ORDE