: NRW-CDU: Sozis statt Merkel
Jürgen Rüttgers brüskiert seine Vorsitzende: Per Brief bittet er ausgerechnet SPDler, sich in den Koalitionsverhandlungen für NRW einzusetzen
AUS KÖLN PASCAL BEUCKER
Lange hatte sich Jürgen Rüttgers auffällig zurückgehalten. Kaum etwas war zu vernehmen von jenem nordrhein-westfälischen CDU-Ministerpräsidenten, dessen Wahlerfolg im bevölkerungsreichsten Bundesland erst den Weg für Angela Merkel ins Bundeskanzleramt geebnet hatte. Das Feld der großen Worte hatte er in den Wochen nach der Bundestagswahl anderen in der Union überlassen. Jetzt hat sich der christdemokratische Bundesvize und NRW-Landeschef mit einem „Positionspapier“ zurückgemeldet in die öffentliche Diskussion. Und er hat seine Giftpfeile wohl platziert.
Denn sein Schreiben richtet sich nicht an Parteigremien. Es ist adressiert an die „an den Koalitionsverhandlungen beteiligten nordrhein-westfälischen Politikerinnen und Politiker“: an Franz Müntefering, Ulla Schmidt, Peer Steinbrück sowie an Ronald Pofalla und Norbert Röttgen – also an drei Sozial- und nur zwei Christdemokraten. „Im Interesse unseres Landes bitte ich Sie herzlich, in den Verhandlungen zu helfen, die im beiliegenden Papier genannten Positionen in den Koalitionsvertrag aufzunehmen“, schreibt Rüttgers an sie. Ein elegant formulierter Affront gegen seine Parteivorsitzende Merkel.
Aber es war auch höchste Zeit für Rüttgers, zu reagieren. Denn die Stimmung in der nordrhein-westfälischen CDU kocht, seit Angela Merkel das Personaltableau der Union für ihr künftiges Bundeskabinett präsentiert hat. Dass kein Einziger aus dem immerhin mitgliederstärksten Landesverband der CDU in den erlauchten Kreis der Nominierten aufgenommen wurde, empfinden hier viele als Brüskierung. Die Wahl von Norbert Lammert zum Bundestagspräsidenten und die Nominierung von Ronald Pofalla für den Posten des CDU-Generalsekretärs sowie die mehreren Staatssekretärsposten, die wahrscheinlich an NRW-CDUler gehen werden, erscheinen etlichen als nur unzureichende Trostpflaster.
Noch richtet sich der Unmut zuvörderst gegen Merkel – aber Rüttgers weiß, dass er gehörig aufpassen muss, nicht selbst in die Schusslinie zu geraten. Rüttgers sei einfach „zu luschig“, lästert bereits ein führender Rhein-Ruhr-Konservativer hinter vorgehaltener Hand und bemängelt dessen Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsvermögen. In der CDU-Landtagsfraktion war denn auch das Murren schon so laut vernehmbar, dass sich der stets abwägende und vorsichtige Rüttgers bereits Anfang vergangener Woche genötigt sah, vor den Parlamentariern die Muskeln spielen zu lassen: Die getroffenen Personalentscheidungen seien „eine Belastung für die Zusammenarbeit“, polterte der Landesregierungschef hinter verschlossenen Türen. Und er fügte noch die unverhohlene Drohung in Richtung Merkel hinzu: „Das gibt uns die Freiheit, uns an den Interessen Nordrhein-Westfalens zu orientieren.“
Wie er sich das vorstellt, hat Rüttgers nun erstmals mit seinem „Positionspapier“ gezeigt. Von der Föderalismusreform bis zu einem neuen Unternehmerrecht für den ÖPNV führt er auf elf Seiten aus, wofür sich Müntefering & Co. aus seiner Sicht „im Interesse des Landes“ einsetzen sollten. Besonders bemerkenswert ist Rüttgers’ Forderung: „Das Vertrauen der Menschen in eine verlässliche und gerechte Sozialpolitik muss nicht zuletzt durch eine Novellierung der Hartz-Gesetze zurückgewonnen werden.“ Er fordert „eine stärkere Kopplung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes an die Dauer der Beitragszahlung“, „eine verbesserte Freistellung von Rücklagen für die Altersvorsorge“ und „eine Kommunalisierung der Betreuung von Langzeitarbeitslosen“.
Ansonsten findet sich allerdings nur wenig Überraschendes in dem Papier. Ganze Passagen scheinen vielmehr einfach nur aus dem Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung in NRW abgeschrieben zu sein. Entsprechend kühl fiel die Reaktion der Sozialdemokraten auf das Begehren von Rüttgers aus. Allerdings war an sie der Brief ja auch nur formal gerichtet.