: „Rückkehr des deutschen Faktors“
Zwei Szenarien für das deutsch-polnische Verhältnis: „praktische Kooperation“ oder „indifferente Nachbarschaft“
taz: Herr Lang, welche Auswirkungen hat der Sieg von Lech Kaczyński in Zukunft auf die deutsch-polnischen Beziehungen?
Kai-Olaf Lang: Ich sehe zwei mögliche Szenarien, die unter bestimmten Einschränkungen zu betrachten sind. Der Umstand, dass die PiS (Partei für „Recht und Gerechtigkeit“) eine gewisse Europaskepsis und Aversionen gegenüber Deutschland mitbringt und auch eine andere Zielvorstellung von europäischer Integration hat, wird in jedem Fall eine Rolle spielen. Beachtet man dies, wäre das optimistische Szenario eine pragmatische Kooperation. Dies könnte durch eine Verständigung auf eine deutsch-polnische Agenda im Rahmen der EU-Politik geschehen.
Welche konkreten Themen könnten dies sein?
Unabhängig davon, wer regiert, sind die Ostdimension der EU und die Nachbarschaftspolitik mit der Ukraine und Weißrussland ein zentraler Punkt in der außenpolitischen Zielhierarchie. Polen wird weiter daran arbeiten, sich als Advokat dieser Länder einzubringen. Entscheidend ist außerdem das Verhältnis zu Russland. Dies ist eine essenzielle sicherheitspolitische Frage für Warschau. Um alten Ängsten entgegenzutreten, sollten beispielsweise symbolische Dreiertreffen zwischen Deutschland, Russland und Frankreich nur mit Einbeziehung Polens weitergeführt werden. Entscheidend für das Verhältnis zu Deutschland wird sein, ob sie zu einem besonderen Duo für die EU werden.
Wie sieht das zweite Szenario aus?
Es wäre nicht ganz so optimistisch, eine indifferente Nachbarschaft, ein Nebeneinander ohne Kommunikation über zentrale Fragen wie die europapolitische Agenda. Konfliktträchtige Bereiche wie die Ostpolitik und gemeinsame Geschichte würden auf die Agenda drängen. Dies wäre aber keine Katastrophe. Es gibt ein solides, wenn auch apolitisches Fundament der bilateralen Zusammenarbeit. Die Gefahr besteht darin, dass alle Kooperationen auf diesen apolitischen Kernbestand, wie wirtschaftliche Verflechtungen, Austauschprogramme und kulturelle Kooperationen abgeschmolzen werden.
War die Europa- und Deutschlandfeindlichkeit entscheidend für den Wahlerfolg?
Das Spielen dieser Karte ist ein zentrales Element des Weltbildes der PiS, aber es war nicht wahlentscheidend. Natürlich hat sich das deutsch-polnische Verhältnis verändert. Nach der Zeit des oft zu Unrecht so genannten Versöhnungskitschs gab es in den letzten Jahren eine Entkoppelung von historischen und aktuellen Themen. Probleme wurden ausgeklammert für ein gemeinsames Ziel: den EU-Beitritt Polens. Nach der Erreichung dieses Ziels tat sich ein Vakuum auf. Deutschland wurde wieder stärker als Bedrohung wahrgenommen – eine „Rückkehr des deutschen Faktors“ in der polnischen Außen- und Innenpolitik. Die Wahlen wurden aber durch soziale Themen gewonnen. Es gelang den Kaczyńskis die Wahl zu einer Art Plebiszit über ein soziales oder liberales Polen hochzustilisieren.
INTERVIEW: MIRJAM MEINHARDT