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Alau und Helaaf

Kamelle komplex: In Dormagen am Rhein rufen sie mehrheitlich Alaaf, im Norden aber regiert Helau. Nicht nur da ist es kompliziert. Annäherungen an eine fremde Welt

Unmöglicher Spagat: „Helau“-Territorium und „Alaaf“-Region trennen Himmel und Hölle Foto: Thekla Ehling/laif

Von Bernd Müllender

Die „MKV Star Band“ schickt donnernde Schlager in den Lichthof der Mönchengladbacher Stadtsparkasse, der „schönsten Halle der Stadt“, wie einer lobend erwähnen wird. Der Bürgermeister lässt seine Füße mitwippen, launig marschiert der Sparkassenchef auf die Bühne. Tusch. Hunderte, meist Männer, sind mit einer bunten Narrenkappe geschmückt, die Insignie ihrer Karnevalsgesellschaft. Einer davon, Makler von Beruf, trägt eine mächtige Pflauenfeder und ein graues Plastikzepter. Das ist der Prinz der Stadt.

Michael I. und seine Monika haben die über 40 Karnevalsvereine der Helau-Stadt zum Prinzenpaarempfang geladen. Motto: „Wir feiern alle in derselben Sprache.“ Nur, das Vokabular variiert.

Im goldgelben Sakko steht auch Stefan Zimmermanns, 43, im Saal. Der Kaufmann im Abfallwesen ist erster Vorsitzender eines sehr seltsamen Vereins der Stadt. Bei seinem Schwarz-Gold Odenkirchen ruft man „Okerke Alaaf“, Okerke steht für Odenkirchen. „Das ist aber kein Problem“, sagt er, jeder Jeck sei halt anders. Mit der ­Gebietsreform 1975 wurde sein Heimatort Oden­kirchen eingemeindet. Deswegen werde man aber „nicht seine Traditionen aufgeben“.

Alaaf im Helaugebiet – das erstaunt, wo sich doch in diesen Narrentagen mitten in den Rheinlanden wieder eine große Mauer auftut. Die einen rufen Helau, die anderen Alaaf. Streng getrennt. Dazu trinken sie entweder Alt oder Kölsch und ekeln sich öffentlich vor dem anderen Bier. Strenge Identifikations- und Abgrenzungsmerkmale sind das. Weltanschauung und Lebensgefühl in einem. Entweder oder. Wie beim Fußball im Revier: Entweder ist man Schalker oder Dortmunder. Kompromisslos.

Doch in den Grenzgebieten entlang des Helau-Alaaf-Äquators wird es unübersichtlich.

Dormagen am Rhein, 30 Kilometer östlich von Mönchengladbach, wird karnevalistisch von einem eisernen Vorhang durchtrennt. Mehrheitlich ruft man Alaaf, aber im Norden regiert Helau – wie im Karnevalsverein Rot-Weiß Stürzelberg von 1965 e. V. Deren Geschäftsführerin Ute Corsten sagt: „Das ist nun mal seit jeher unsere Eigenart. In Stürzelberg waren wir immer nach Düsseldorf orientiert.“ Und durch eine Gebietsreform und Eingemeindung lasse man sich „auch nichts verbieten. Da sind Karnevalsvereine sehr stur.“ Für Dormagener Bürgermeister ist es eine Herausforderung, sich je nach Ortsteil nie zu verrufen. „Ist auch meines Wissens noch nie passiert“, sagt Corsten. Der jetzige Bürgermeister Erik Lierenfeld ist ohnehin Brauchtumsfachmann – er war 2012 im Dreigestirn der Stadt die Jungfrau Erika.

Noch komplexer ist die Lage in Monheim, direkt nebenan auf der anderen Rheinseite. Man liege „komplett im Helau-Bereich“, wie Bürgermeister Daniel Zimmermann betont. Indes könne es bei Sitzungen Ausnahmen geben. „Die Frage, ob man Helau oder Alaaf ruft, ist dann durch die Nennung eines Ortsnamens determiniert.“ Übersetzt bekommt man diese Definition vom Sitzungspräsidenten der Großen Monheimer Karne­valsgesellschaft Moritz ­Peters, im Brotberuf Fachanwalt für Strafrecht: „Nach dreimal Monnem Helau kriegen Kölner Künstler auch immer einmal ihr Alaaf.“ Damit nicht genug. Trotz Helau sei Monheim „mehr dem Kölner Karneval zugeneigt“, sagt Peters, es gebe also ein Zwitterdasein „mitten auf der Demarkationslinie“. Was auch das rheinische Glaubensbekenntnis zum Bier betrifft: Bei Karnevalsveranstaltungen seien in Monheim „Kölschtrinker klar in der Überzahl“, weiß Bürgermeister Zimmermann. Und bitte, so verschieden seien die beiden obergärigen Getränke doch nicht. Er selbst mag „beides gerne“. Selbst sein Vater, in Düsseldorf geboren und lange dort ansässig, trinke als Neumonheimer „hin und wieder ein Kölsch“. Zudem stellten die Monheimer Brauereien „immer schon beide Sorten her“. So sei seine Gemeinde „wahrscheinlich die liberalste Stadt entlang des Alt-Kölsch-Äquators“.

Nicht nur in den Grenzgebieten entlang des Helau-Alaaf-Äquators wird es unübersichtlich

Die Rommerskirchener nebenan kokettieren seit 1954 kompromissfreudig mit der Grenzlage: Sie rufen einfach Alau. In Langenfeld rufen sie Helau, haben aber ein Dreigestirn – sonst nur im Alaaf-Land üblich. Zeitweilig wollte man auf „Helaaf“ umsteigen. „Gekünstelte Überlegungen“, seien das, moniert Monheims Moritz Peters. Das Festkomitee Kölner Karneval, südlich des jecken Äquators die Gottheit des Frohsinns, erklärte jedoch, dass solche Vermischungen „eine wunderbare Sache zur echten Karnevalsverständigung“ seien.

Konsequente Kölner würden das rückgratlose Anbiederung nennen: Sie haben auf ihrem PC-Tastaturen die Alt-Taste gegen eine mit der Aufschrift Kölsch ausgetauscht. Solche Kölle-Tastaturen gibt es längst für 29,95 Euro zu kaufen: Auf der Enter-Taste ist ein Dom-Piktogramm abgebildet, F11 heißt „F11. im 11.“ und vor allem: „Delete/Entfernen“ ist mit „Düsseldorf“ belegt.

Die Herkunft des Begriffs Alaaf ist unklar. „All af“ heißt so viel wie „alles ab“. Oder heißtesaal aff – alter Affe? Oder „Nichts geht über“, wie der Landschaftsverband Rheinland mutmaßt? Der Narrenruf könnte auch vom keltischen alaf stammen: Glück bekommen. Kölle Glück auf also, Kölle lebe hoch. Im Alemannischen heißt eine Maske „a Laaf’n“.

Macht nix, sagen die Kölner, die Herkunft dieses seltsamen „Helau“ ist ja noch unklarer: In Christenkreisen wird es als Kurzform von Hallelujah verortet. Andere behaupten, es heiße so viel wie „Hölle auf“, dialektisch: „hel auf“. Hel ist zudem die germanische Göttin der Unterwelt, hieraus hat sich Hölle entwickelt. Geistervertreibung durch Öffnung der Hölle? Und noch eine Deutung: Am Niederrhein soll „Helau“ einst ein Hirtenruf gewesen sein. Andere halten es für abgeleitet von hellblau, sogar ganz schlicht vom englischen Hello.

Welches Hantier! Was mag eigentlich Vater Rhein dazu sagen, liedtechnischer Urahn vielen jecken Brauchtums? Fängt er rheinabwärts weinselig mit Helau an, schwenkt kölschgetränkt zu Alaaf um und schwappt dann, betäubt von den ersten Altbier-Abwässern, wieder um zu Helau? Sind hinter Leverkusen die beiden Rheinseiten im Zwist? Wir wissen es nicht.

Kleine Wortkunde

In Helaugebieten gibt es meist ein Prinzenpaar, in Alaafland ein Dreigestirn aus Prinz, Bauer und (durchweg männlicher) Jungfrau. Helau ruft man rund um die närrische Hochburg Mainz und nördlich einer Linie Mönchengladbach–Leverkusen–Wuppertal. Die Welt um Köln, Bonn und Aachen hört auf Alaaf. Die Narrenrufe gelten als Ausdruck der Freude. In ihrer auffordernden Form während der Umzüge geben sie der Hoffnung Ausdruck, mit möglichst viel Süßkram beworfen zu werden. Bonbons heißen im Großraum Köln Kamelle.

Die Herkunft des Begriffs Alaaf ist unklar. „Allaf“ heißt so viel wie „alles ab“. Oder heißt es aalaff – alter Affe? Oder „Nichts geht über“, wie der Landschaftsverband Rheinland mutmaßt? Der Narrenruf könnte auch vom keltischen alaf stammen: Glück bekommen. Kölle Glück auf also, Kölle lebe hoch. Im Alemannischen heißt eine Maske „a Laaf’n“.

Der Ursprung von Helau ist noch unklarer: Vielleicht eine Kurzform von Hallelujah. Andere behaupten, es heiße so viel wie „Hölle auf“, dialektisch: „hel auf“. Hel ist zudem die germanische Göttin der Unterwelt, hieraus hat sich Hölle entwickelt. Am Niederrhein soll Helau einst zudem ein Hirtenruf gewesen sein. (müll)

In der Helau-Stadt Mönchengladbach gibt es viele Rufe: „Halt Pohl“ (“Halt die Stange“) brüllen sie hier, im Rheydt gern auch mal „All Rheydt“. In Mönchengladbach, sagt Odenkirchens Alaaf-Mann Stefan Zimmermanns, „sind wir halt offen, vielfältig, modern und fortschrittlich“. Um aber noch hinzuzufügen, dass sein Karnevalsverein traditionellerweise Kölner Künstler zu den Fest­sitzungen einlade. Das führe „fast selbstverständlich“ dazu, dass die Odenkirchener als ­einzige Gladbacher jenseits der erbitterten Fußballfanfeindschaft zwischen der Borussia und dem FC „in Köln akzeptiert werden“.

Auch beim Bier ist man in der hässlichsten Stadt Deutschlands (sieht von vorne so aus wie woanders die größten Bausünden in Hinterhöfen, so einmal die Zeit) zum Zwitter geworden: Beim Prinzenempfang wurde das traditionelle Altbier gereicht und schlecht gezapftes Pils – in Altbier-Gläsern. Pils in Gladbach, vor 30 Jahren noch undenkbar. Und jetzt trinkt das sogar die Mehrheit! „Tja“, sagt Karnevalist Zimmermanns, „manches ändert sich halt doch“.

Da hat er recht: In Düsseldorf hat, früher undenkbar, 2011 die erste Kölsch-Kneipe mit Brauereiausschank eröffnet. Und in Köln hat man jahrzehntelang nur gefragt „Warum ist Alt so dunkel? Weil es sich schwarz ärgert, dass es kein Kölsch ist“ – jetzt, seit 2014, produziert eine Privatbrauerei selbst Altbier, zudem das erste Bio-Alt der Republik. Das beglückt Kölner mit Düsseldorfer Migrationshintergrund, provozierte aber werbewirksam das kölsche Bier-Establishment: „Manche konnten es anfangs nicht fassen“, sagt die junge Brauerei-Chefin.

Nichts ist mehr heilig: „Aber Okerke Alaaf bleibt!“, sagt Zimmermanns in Mönchengladbach. Dann durften er und Abordnungen aller anderen örtlichen Karnevalsvereine zum Prinzen auf die Bühne. Um ehrende, gemeinsame Kraft zu tanken für die Herrensitzung in der Odenkirchener Burggrafenhalle und dem (Achtung, ein Kölner Begriff:) Veedelzoch durchs Dorf. Getrunken werde Pils und Alt, sagt Zimmermanns.

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