: Lese ich Marion, denk‘ ich an Mann
„Schwarzweißroman“: Marion Poschmann gewinntden mit 10.000 Euro dotierten Literaturpreis Ruhrgebiet
Vergleiche sind schwierig. Nicht nur, dass sehr viele von ihnen ordentlich hinken, auch fühlt sich der oder die Verglichene zumeist in eine Schublade gepfercht, in die er oder sie gar nicht gepfercht werden will. Stellen Sie sich mal vor, Sie versuchen anständige Rockmusik zu machen und werden dann mit Allerweltsrocker Jon Bon Jovi verglichen. Schrecklich, oder?
Der Vergleich, der gestern bei der Vergabe des Literaturpreises Ruhrgebiet fiel, dürfte der Preisträgerin dagegen geschmeichelt haben. Und doch sah sie so aus, als sei die Schublade in diesem Fall nicht zu eng, sondern viel zu groß. Marion Poschmann heißt die diesjährige Gewinnerin des 10.000 Euro schweren Hauptpreises, und in der Begründung der Jury fällt doch tatsächlich der Name des Giganten: Thomas Mann. An dessen „Zauberberg“ habe er sich erinnert gefühlt, als er Poschmanns unlängst in der Frankfurter Verlagsanstalt erschienenen „Schwarzweißroman“ gelesen habe, sagte Herbert Kaiser, Literaturwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. Thomas Mann. Zauberberg. Das sitzt.
Die vor 36 Jahren in Essen geborene Poschmann zählt zur hoffnungsvollen Generation junger Schriftsteller abseits der immer um sich selbst zirkulierenden Pop-Schreiber. In ihrem „Schwarzweißroman“ schickt sie eine Frau in den Ural, nach Magnitogorsk, der Schnittstelle zwischen Europa und Asien. Sie besucht dort ihren Vater, der in der farblosen, von Schnee bedeckten Einöde eine Industrieanlage errichtet. Sie stößt auf ein Leben in einer feindlichen Umgebung, in der keine Gewissheiten mehr gelten – auch für sie selbst.
Fasziniert hätten einerseits Thema und Sprache, vor allem aber die „ungeheure literarische Intelligenz“, sagte Kaiser und deutete auf die Kunstgriffe, die Poschmann vollzieht: den Flug nach Osten, der in Dunkelheit geschieht; die Protagonistin, die im roten Mantel durch die farblose Welt flaniert.
Erfreulich, dass der Hauptpreis an eine junge Autorin geht, die nicht bereits mit etlichen Preisen dekoriert ist. Wenn er noch unbekannte Talente fördert, funktioniert der Literaturpreis Ruhrgebiet am besten. Auch Ralf Rothmann bekam den Preis 1996 zu einem Zeitpunkt, als er noch ziemlich unbekannt war. Talentförderung also. Dafür stehen auch die beiden Förderpreise, die in diesem Jahr an den gebürtigen Schwelmer Burkhard Wetekam und den Hagener Simon Urban gingen. Beide hatten sich am vorgegebenen Thema „Mit falscher Zunge – Geschichten vom Lügen“ abgearbeitet. Von ihnen wird hier noch die Rede sein.
BORIS R. ROSENKRANZ