: „Auf Bowie, auf Westberlin“
zeitfenster Neue Bekanntschaften, alte Geschichten, gute Geschäfte, auch im Späti nebenan
Ja, ich gehöre zu der Sorte ewiggestriger Twentiesomethings, die stets das Gefühl haben, in der falschen Zeit zu leben, und in leidenschaftlicher Nostalgie Popstars verehren, zu deren Hochzeiten sie selbst noch nicht einmal auf der Welt waren. Umso größer meine Verzückung, als sich am Montagabend ein magisches Zeitfenster auftat und mich für einen kurzen Moment um knapp 40 Jahre zurückversetzte.
Aus gegebenem Anlass pilgerte ich zu Bowies altem Wohnhaus in Berlin, in der Schöneberger Hauptstraße 155, um – tja, was eigentlich? Etwas verloren stand ich da zwischen Kerzen, Blumen und betroffenen Gesichtern und versuchte ein wenig dem Geist der vergangenen Zeit nachzuspüren.
„Wat hier in Schöneberg los war in den Achzjern, dit kann ma sich heut jar nisch mehr vorstellen!“, berlinerte es hinter mir. Ich drehe mich um, akkurat gegelte Haare, falkohafter Gang, das Gesicht des knapp Sechzigjährigen kommt mir extrem bekannt vor. „Haste B-Movie jesehn?“, ist seine knappe Antwort auf meine Frage, wer er sei.
Da die Stimmung im „Neuen Ufer“ eher gedämpft ist, schiebe ich mich mit meiner neuen Unbekanntschaft in die verrauchte „Seventies Bar“. Sich ihrer glücklichen Lage in der geschichtsträchtigen Nachbarschaft bewusst, ziert ein etwas ungelenk handgemaltes Porträt Bowies die orangegetünchte Wand. Die bierbäuchigen Männer, die hier sonst Fußball gucken, wirken etwas deplatziert, lassen sich aber geduldig von einer Gruppe junger Frauen Glitzersternchen ins Gesicht kleben. „Ch-ch-ch-Changes“ schallt es durch den proppevollen Laden.
Er macht das Geschäft seines Lebens. Hinter dem Tresen hat ein Stammgast den Ausschank übernommen, während der grauhaarige Kneipenbesitzer immer mehr Sechserpacks Kindl-Bier vom Späti holt. „Die saufen mir hier alles leer!“, mimt er gespielte Verzweiflung – eine Szene, wie sie Sven Regener nicht besser hätte beschreiben können. Während ich noch nach Frank Lehmann und Karl Schmidt Ausschau halte, drückt mir der Unbekannte einen Jack Daniel’s in die Hand. „Auf Bowie, auf Westberlin!“ Laura Aha
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