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Archiv-Artikel

Koch, der Trommler

VON HANNES KOCH

Die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD erinnern an die zwischen SPD und Grünen 2002. Schon damals stand hinter, vor und über allem das LOCH. Das riesengroße Haushaltsloch. Deshalb gibt es nur eine einzige Lösung. Und die heißt SPAREN. Schon 2002 standen die Koalitionäre derart im Bann dieser beiden Begriffe, dass sie das Politikmachen fast vergaßen.

Jetzt ist es ähnlich. Die Lufthoheit über das Loch und seine Dimension dienen dazu, den Gegner – vulgo Koalitionspartner – in die Defensive zu bringen. Hessens Ministerpräsident Roland Koch, gleichzeitig Chefverhandler der Union in Sachen Finanzen, präsentierte gestern eine neue Zahl: Das „strukturelle Defizit“ im Bundeshaushalt 2006 betrage 70 Milliarden Euro – bei rund 255 Milliarden Umfang des Bundesbudgets.

Wie kommt Koch auf diese Zahl? Er hat addiert: die von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) eingeplanten Schulden von rund 22 Milliarden Euro, außerplanmäßige Defizite (Hartz IV und Ähnliches) von rund 13 Milliarden, den Verkauf von Bundesbesitz (unter anderem Telekom-Aktien) von über 20 Milliarden und eine neue Lücke, die durch eine Anforderung der EU-Kommission entsteht. Danach darf der Verkauf von Pensionsforderungen des Bundes nicht mildernd auf die Maximalverschuldung laut Maastricht-Vertrag angerechnet werden. Kochs Schlussfolgerung: Auch dieses Geld müsse man irgendwie anders beschaffen. Dass trotzdem nicht unbedingt 70 Milliarden Euro zusammenkommen, stört nicht. Die schiere Unfassbarkeit der Zahl ist ausschlaggebend, um die Kompromissbereitschaft bei der SPD zu erhöhen.

Denn heute werden die Koalitionsgespräche in der Arbeitsgruppe „Finanzen“ fortgesetzt. Auch die Unterarbeitsgruppen „Steuern“ und „Haushalt“ tagen. Dass Koch allzu laut trommelt, zeigt sich am Ergebnis der Chefrunde vom Montagabend. Union und SPD haben sich geeinigt, eine weniger Schrecken erregende, wenngleich noch immer eindrucksvoll große Zahl zur Basis der weiteren Verhandlungen zu machen. Gegenüber diesem Jahr soll die rechnerische Lücke im Haushalt 2007 um 35 Milliarden Euro verringert werden. Diese Zahl errechnet sich im Prinzip aus den ab 2007 nicht mehr möglichen Privatisierungserlösen – alles ist bereits verkauft – und dem Extraloch aus den Hartz-Reformen. Dann will die neue Regierung auch das Maastricht-Kriterium von maximal drei Prozent gesamtstaatlicher Schulden im Vergleich zur Wirtschaftsleistung wieder einhalten.

In den kommenden Tagen werden sich die Verhandler der Antwort auf die Frage zuwenden: Woher soll das Geld kommen? Die Lösung ist denkbar einfach, sehr praktisch und bedürfte eigentlich keines öffentlichen Schaulaufens. Die wichtigsten Verhandler jetzt haben vor zwei Jahren bereits vorgearbeitet. Damals präsentierten Roland Koch und der kommende SPD-Finanzminister Peer Steinbrück eine lange Liste mit dem Titel „Subventionsabbau im Konsens“. Die beiden hatten eine Summe von 77,4 Milliarden Euro an Steuervergünstigungen und Finanzhilfen ermittelt, die man prinzipiell streichen könnte. Ihr Vorschlag: Lasst uns mit 10 Milliarden in drei Jahren beginnen. Grundsätzlich möglich wären natürlich auch 20 oder 30 Milliarden – und die Probleme wären erst einmal erledigt.

An diesem Punkt freilich kommen die unterschiedlichen Interessen und Lobbypositionen der beiden Seiten ins Spiel. So warnt der Hausbesitzerverband vor der Einschränkung der Eigenheimzulage, einem der dicksten Subventionsbrocken. Auch über die Mehrwertsteuer wird wieder heftig diskutiert. Aus der Union heißt es, die Kürzung von Ausgaben habe Priorität vor der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Auch SPD-Verhandler Joachim Poß sprach sich gegen eine höhere Verbrauchsteuer aus.

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