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Einfach den Spieß umdrehenBrandzeichen für den Pfui-Konsum

Kolumne Wir retten die WeltVonBernhard Pötter

Milch – ist die eigentlich bio?“, fragt meine Tochter und beißt in eine Kekswaffel.

„Klar ist die bio“, sage ich.

„Hallo? Kann doch jeder draufschreiben“, meint die skeptische 14-Jährige und taucht wieder unter ihren Kopfhörern ab.

„Nein, kann nicht jeder draufschreiben“, sage ich. Oder, na ja, vielleicht doch. Dann zeige ich ihr das Biosiegel auf der Milchtüte. Aber sie interessiert sich schon wieder mehr für ihr Smartphone.

Es ist ja auch verwirrend bei uns. Das Biosiegel auf der Milch, der Regenwald-Stempel auf der Schokolade, auf dem Honig das Fairtrade-Zeichen. Das Brot hat das Bioland-Symbol, Klopapier den blauen Engel, Kekse haben gar nichts. Und pünktlich zum Beginn der Grünen Woche kündigt Agrarminister Christian Schmidt eine „klare Kennzeichnung“ von Produkten aus artgerechter Tierhaltung an.

Die Versiegelung unserer Lebensmittel zeigt ein Dilemma: Das „normale“ Essen bringt uns nicht um – immerhin, aber das war es dann auch schon. Wenn für unser täglich Brot und Wurst nicht Tiere gequält und Landschaften nicht verwüstet werden sollen, wenn der Joghurt nicht aus Fernost kommen oder für die Margarine nicht der Regenwald brennen soll, dann muss das marktschreimäßig per Siegel dazugebucht werden.

Das ist doch komplett irre und gehört geändert! Zum Beispiel, indem wir den Spieß einfach umdrehen. Wie wäre es, wenn nachhaltige Lebensmittel aus gesundem, fairem und möglichst regionalem Anbau die Norm wären – und alles andere quasi ein Brandzeichen bekäme? Auf der Wurst klebte dann ein knallroter Hinweis: „Von Schweinen ohne Auslauf“. Auf der Putenbrust: „Überzüchtet für Sie!“ Auf dem Quark: „Von Kühen, die nie die Sonne sehen“. Der Lachs: „Das Schwein des Meeres, auch was die Haltung angeht“. Der Schokoriegel: „Rohstoffe gewonnen aus der Vertreibung von Orang-Utans“. Auf der Flugmango verkündete ein kleiner Sticker „Mehr Klimagase als Ihr letzter Urlaub“. Auf der Evian-Wasserflasche: „Durch halb Europa gekarrt nur für einen Schluck Wasser!“ Einkaufen wäre herrlich einfach. Man könnte sich im Supermarkt bedienen, ohne die Lesebrille für die Minischrift auf dem Gentech-Label zücken zu müssen.

Das geht nicht, sagen Sie? Klar geht das. Versuchen Sie mal ab Mai, eine Packung Zigaretten zu öffnen, ohne dass die Gruselbilder von Teerlungen und ausgeräucherten Gaumen Sie bis in den Schlaf verfolgen. Dann wird das nämlich auch in Deutschland Pflicht. Wenn die Schocktherapie bei Fluppen legal ist, warum dann nicht bei Gummibären oder Gulasch („Gelatine aus Babyrindern“ oder „Dafür musste Bambi sterben“)? Dann würden sich 14-Jährige zuflüstern, was heute fürs Rauchen gilt: „Der Max ist voll cool. Der hat heimlich Salami gegessen!“

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