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KUNST

KunstNoemi Molitorschaut sich in Berlins Galerien um

Anastasius Rosenstengel. Welch lyrisch klingender Name für eine Romanfigur. Vor allem für eine, die es wirklich gab: die zentrale Figur in Angela Steideles historischem Briefroman „Rosen­sten­gel“ kann aus heutiger Sicht als letzte Frau gelten, die in Europa wegen der „Unzucht zwischen Frauen“ hingerichtet wurde, aber auch als eine der ersten Trans*Figuren der Geschichte, die in Staatsarchiven dokumentiert ist. Rosenstengel tauschte die Frauenkleider aus dem Waisenhaus gegen Männerkleidung, lebte als Prophet, Musketier und Ehemann. Ludwig II., der Schlösser bauende „König der Kunst“, ist fasziniert von Rosenstengels Schicksal und begehrt schließlich den erzählenden Arzt, sehr zum eigenen Untergang.

Unter dem poststrukturalistischen Titel „Woman Becomes Man“ lädt der Verlag Matthes und Seitz Steidele zum literarischen Auftaktabend der Serie „Come As You Are“ ins KW Institute for Contemporary Art. Wer man ist, bleibt wohl nicht lange sicher, es wurden transformative Erkundungen des eigenen Unterbewussten versprochen. In Konversation mit Thomas Böhm, der die Autorenlesung als besondere Kunstform würdigt, könnten die Zahnräder der Geschlechterkonstruktion tatsächlich durchdrehen. Denn die Literaturwissenschaftlerin Steidele legt quer zur großen Erzählung wahrhaftiger Zweigeschlechtlichkeit, die alle anderen Lebensformen zu „Maskerade“ oder „Betrug“ erklärt, lesbisches und schwules Begehren so über- und ineinander, dass Rosenstengel Frau, Mann, Lesbe und königliche Identifikationsfigur zugleich ist und Begehren, Liebe und Macht ihre Vielschichtigkeit behalten (14. 1., 19 Uhr, Auguststr. 69).

Wie sich „Wahrheit“ und „Zeit“ visuell performen lassen, zeigt Ibrahim Quraishiin seiner Video- und Fotoarbeit „Lost Codes“ in der Galerie Crone.Imaginäre Erinnerungsobjekte (mal ist es eine Vase, mal abstrakte Konzepte wie die Zeit) werden von Performer_innen pantomimisch von einem Tisch auf den anderen bewegt – behutsam, konzentriert, repetitiv und immer mit geschlossenen Augen (bis 23. 1., Di.–Sa., 11–18 Uhr, Rudi-Dutschke-Str. 26).

Fabrikant_innen eigener queerer Kunst könnte der Open Call „Deep Trash: Greek Trash“interessieren. Die thematische Bandbreite umfasst unter anderem die Queerness griechischer Mythologie; Trans* und In­ter*identitäten in Griechenland, Zypern und der Diaspora; feministische und postkolo­nia­le Bewegungen gegen Rassismus; und Counterculture als Antwort auf Prekarität. Performances, ­Videos und Bildende Kunst können bis zum 28. 1. eingereicht werden (­www.cuntemporary.org).

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