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Archiv-Artikel

„Mammographie kann auch schaden“

Medizinerin Ingrid Mühlhauser warnt vor dem hohen Risiko unnötiger Brustkrebs-Untersuchungen

taz: Sie stehen dem in Nordrhein-Westfalen angelaufenen Mammographie-Screening kritisch gegenüber. Wo sehen Sie die Probleme?

Ingrid Mühlhauser: Die betroffenen Frauen werden nicht ausreichend über mögliche Schäden der Untersuchung aufgeklärt. Die Informationen darüber sind irreführend und von wirtschaftlichen Interessen geleitet. Schließlich lebt ein ganzer Berufsstand von solchen Untersuchungen.

Aber die Früherkennung soll doch die Sterblichkeitsrate um 30 Prozent senken.

Das ist die Zahl, die der Öffentlichkeit präsentiert wird. Das heißt konkret: Mit Screening sterben sechs von tausend Frauen an Brustkrebs, ohne Früherkennung sind es acht. Damit sinkt die Sterblichkeitsrate um 25 Prozent. Tatsächlich haben aber von 1.000 Frauen, die zehn Jahre lang alle zwei Jahre geröntgt werden, nur zwei tatsächlich einen Nutzen – das sind diejenigen, die dank des Screenings nicht an Brustkrebs sterben. Die anderen 998 haben keinen Nutzen davon. Weil sie sowieso nie an Brustkrebs gestorben wären oder weil sie trotzdem an Brustkrebs sterben. Oder weil sie durch die Früherkennung sogar Schäden erleiden.

Wie kann die Früherkennung schaden?

Es gibt Frauen, die eine Brustkrebsdiagnose bekommen, die sie ohne Teilnahme am Screening nie erhalten hätten, das heißt es gibt Überdiagnosen. Es werden Brustkrebse diagnostiziert, die im Laufe des Lebens niemals schädlich geworden wären.

Welche Folgen hat eine unnötige Diagnose?

Was gefunden wird, wird natürlich auch behandelt, mit Chemotherapie oder auch Amputation. Im Einzellfall kann man aber nicht sagen, ob der Brustkrebs jemals schädlich geworden wäre.

Heißt es nicht immer: Je früher der Krebs erkannt wird, desto besser?

Das gilt nicht generell. Es gibt Brustkrebse, die auch bei späterer Diagnose keine schlechteren Heilungschancen haben. Oft verlängert sich nur die Zeitspanne in der die Frau mit der Diagnose Brustkrebs leben muss, ohne dass sie dadurch länger lebt. Besonders bösartige Krebsformen können durch Mammographie häufig nicht rechtzeitig diagnostiziert werden.

Wie oft kommen Fehldiagnosen vor?

Die Zahl der so genannten „Fehlalarme“ ist relativ hoch. Von 1.000 Frauen, die über zehn Jahre lang an einem Screening teilnehmen, bekommen 200 mindestens einmal einen falschen positiven Befund. Die Frauen sind beunruhigt und müssen warten, ob sich der Verdacht auf Krebs bestätigt. Damit ist auch eine psychische Belastung verbunden. Aber auch über die hohe Zahl der Fehldiagnosen wissen die meisten Untersuchten nicht Bescheid.

Warum werden Frauen zu den Risiken nicht genügend aufgeklärt?

Die Programmverantwortlichen wollen eine hohe Teilnehmerinnenzahl von mindestens 70 Prozent erreichen. Wenn gesagt wird, dass die Sterblichkeit um 30 Prozent sinkt, dann hört sich das besser an, als wenn man sagt: Zwei von tausend Frauen leben länger. Wären die Frauen besser aufgeklärt, würden weniger von ihnen an dem Programm teilnehmen.

Wo können sich Frauen informieren?

Es gibt eine Broschüre zur Mammographie als Früherkennungsuntersuchung vom Nationalen Netzwerk Frauengesundheit, die bei der Entscheidung helfen kann. Wenn sich gut informierte Frauen gegen das Screening entscheiden, müssen sie kein schlechtes Gewissen haben.

INTERVIEW: BARBARA RUPFLIN