: Irgendwie, irgendwas
MAKING OF Wie das coolste Ressort die unnötigsten Texte beschafft – ohne Kontextparagraf
VON ANNABELLE SEUBERT
Dass es diesen Text gibt, ist nicht meine Schuld. Zehnmal habe ich gesagt: Nein, ich bin nicht in der Verfassung und außerdem frustriert es mich, dass ich schreiben darf, worüber ich schon immer schreiben wollte – der Traum jeder Journalistin –, mir aber nichts einfällt. Vermutlich bin ich kein Journalist. Eine Freundin und ich sagen, wenn uns jemand fragt, was wir machen: Ich bin Keinjournalist. Eigentlich sagen wir: Keinschoorlist, weil wir Journalist nicht richtig aussprechen können.
Okay, mir fällt etwas ein, das muss ich schon für jene Kolleginnen sagen, die sich über mein Eingeständnis freuen werden, weil sie längst wissen: Die kann gar nicht schreiben. Wenn sie gut drauf sind, drücken sie das so aus: Der Kontextparagraf fehlt.
Jemand muss irgendwann mal festgelegt haben, dass Journalismus nur funktioniert, wenn es Kontextparagrafen gibt, die Wort für Wort benennen, warum in einem Artikel steht, was in einem Artikel steht. Wieso sollten die Leser selbst den Sinn eines Artikels herausfinden, wenn man ihnen den Sinn aufoktroyieren kann?
Jedenfalls war zuerst Deniz Yücel da. Mit Jan Feddersen produziert er diese Ausgabe, sie bilden ein Ressort, das niemand so richtig versteht und „besondere Aufgaben“ heißt; egal, es ist cool.
Yücel konnte mich nicht überzeugen, eine Reportage für diese zehntausendste taz zu schreiben, obwohl er gedroht hat, einen Text über mich zu verfassen, falls ich mich drücke: „Und den willst du nicht lesen.“ Wer Yücel kennt, weiß, man sollt ihn nicht zum Feind haben. Feddersen hat den Psychojoker eingesetzt und erklärt, dass ich ihm vertrauen müsse, wie er mir vertraue, und dass er 7.000 Zeichen brauche.
Ich bin jetzt erst bei 1.662 Zeichen, und bevor Missverständnisse aufkommen: Es ist erstens nicht so, dass dieser Text irgendwann besser werden würde, und zweitens nicht so, dass Yücel und Feddersen ihn wollen, weil sie viel auf meinen Stil halten würden, bin ja Keinjourlist. Sie versuchen nur verzweifelt, ihre Seiten vollzukriegen – selber schuld, wenn man an Weihnachten auf die Idee kommt und an Neujahr die Autoren fragt.
Darum ist der Feddersen am Donnerstag durch die Redaktion gelaufen und hat seine Vertrauensansprache gehalten, ich habe mich hinter dem Bildschirm versteckt und mein sonntaz-Kollege Johannes Gernert hat gesagt, dass er keine Zeit hat und lange den Kopf geschüttelt.
Und am Freitagmorgen hatte er einen fertigen Text. Ich kam mir ein bisschen wie ein Versager vor, besonders nachdem ich ihn gelesen und toll gefunden hatte, weil Johannes auf den Kontextparagrafen verzichtet und das kontextualisiert hat. Feddersen hatte zu ihm gesagt: Schreib. Irgendwas, was du immer schon wolltest. Oder über die 10.000.
Er wollte nicht, aber die 10.000 hat ihn so gereizt, dass er nicht anders konnte. Ich wollte nicht, aber das Wort „irgendwas“ hat mich so gereizt, dass ich nicht anders konnte. Irgendwas, das impliziert die komplette Negation jeder Einordnung, jeder Bedeutung, jedes Kontextparagrafen. Anarchie oder Krieg oder Silvester oder Anarchie und Krieg an Silvester.
Ich hab dann nach „irgendwas“ gegoogelt und irgendwas gefunden; darunter auch etwas, das Felix Dachsel interessieren könnte, der mir gegenübersitzt und über „Wege aus dem Journalismus“ schreiben wollte, jetzt aber über seine Mitgliedschaft in der SPD schreibt. Aber ich sage ihm nicht, was ich gefunden habe. Recherchegeheimnis. So läuft das doch unter Jourlisten, oder?
Es ist meist so, dass am Ende eines Textes aufgelöst wird, wofür am Anfang die Spannung aufgebaut wurde oder in der Mitte. Damit sich die Leser informiert, berührt, irgendwas fühlen. Aber auch da muss ich enttäuschen, ich werde nicht preisgeben, wofür das taz-Budget an dieser Stelle nicht ausgereicht hätte und worüber ich schreiben wollte. Mir könnte ja ein Jourlist das Thema klauen.
4.000 Zeichen, ungefähr – Yücel, Feddersen: Zieht das Bild größer, fügt Zwischentitel ein, dann passt das schon. Und macht was draus, irgendwie, irgendwas.
Annabelle Seubert, 27, ist seit zwei Jahren sonntaz-Redakteurin. Irgendwas schreibt sie immer.