: Vorerst keine Koalition in Polen
Vergebens verhandelten in Warschau Liberale und Nationalkonservative über eine gemeinsame Regierung. Sie konnten sich nicht über die Zuständigkeiten einigen. Dabei läuft am Mittwoch die Frist zur Koalitionsbildung ab
WARSCHAU taz ■ In Warschau sind die Koalitionsverhandlungen gescheitert. Seit Tagen schon stritten die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und die liberale Bürgerplattform (PO) über Personalfragen. Wer sollte in der künftigen Regierung für Inneres, Geheimdienste, Justiz und Finanzen zuständig sein? Die PiS, die nicht nur die stärkste Fraktion im Parlament ist, sondern mit Lech Kaczyński auch den Staatspräsidenten stellt, beansprucht alle sicherheitsrelevanten Ressorts für sich, während die PO das undankbare Finanzministerium übernehmen soll.
Damit war die PO nicht einverstanden, da sie sich von vornherein in die Rolle des Sündenbocks für nicht genehmigte soziale Wohltaten der PiS gedrängt sah. Im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, wurde die Stimmung gestern Nachmittag immer gereizter. Türen knallten, Politiker rannten mit rotem Kopf aus dem Verhandlungsraum, liefen in den Korridoren auf und ab und beruhigten sich nur mit Mühe.
Mit der Wahl des PiS-Politikers Marek Jurek zum Parlamentspräsidenten war dann die Geduld der Liberalen erschöpft. „Ich sehe keine Möglichkeit mehr für weitere Verhandlungen“, sagte der PO-Vorsitzende Donald Tusk in seiner offiziellen Erklärung zum Abbruch der Koalitionsgespräche. „Die programmatischen Gespräche waren sehr schwierig. Aber wir kamen voran. Die Regierung war auf gutem Weg. Umso unverständlicher ist für uns die Wahl Marek Jureks zum Parlamentspräsidenten.“
Der gegen den Willen der Liberalen gewählte Jurek ist als nationalistischer EU-Gegner bekannt. Mit seinen radikalen und ultrakatholischen Ansichten wirkte er bislang stark polarisierend. Als Parlamentspräsident aber müsste er ausgleichen.
Bei der Abstimmung im Sejm erhielt Marek Jurek nicht nur die Stimmen der PiS-Fraktion, sondern auch die der linkspopulistischen Bauernpartei Selbstverteidigung (Samoobrona) und der rechtsradikalen Liga der polnischen Familien (LPR). Dadurch fiel der Exverteidigungsminister und Kandidat der Liberalen, Bronislaw Komorowski, durch. Die PiS weigerte sich, Komorowski anstelle von Tusks zu akzeptieren. „Der Schwächere kann dem Stärkeren seine Kandidaten nicht aufzwingen“, meinte der PiS-Fraktionsvorsitzende Ludwig Dorn kompromisslos. Gemeinsam mit dem designierten Ministerpräsidenten Kazimierz Marcinkiewicz bestand er darauf, dass der PO-Parteivorsitzende und unterlegene Präsidentschaftskandidat Donald Tusk den Posten übernehmen solle. So war es vor den Präsidentschaftswahlen abgesprochen. Der unterlegene Kandidat sollte künftig dem Parlament vorsitzen und eng mit dem Staatspräsidenten zusammenarbeiten.
Tusk aber hatte nach dem schmutzigen Wahlkampf keine Lust mehr, unter dem künftigen Präsidenten Lech Kaczyński Parlamentspräsident zu werden. Denn noch am Sonntag, kurz nach seinem Sieg, hatte Kaczyński Tusk zwar einen „prima Kerl und wertvollen Menschen“ genannt, voll Schadenfreude aber ergänzt, dass Tusk nun die Chance habe, „einer der besten Beamten Polens“ zu werden. Zwei Tage später zog Tusk seine Kandidatur als Parlamentspräsident zurück und unterstützte Komorowski.
Marcinkiewicz will das Fiasko nicht akzeptieren. Er möchte versuchen, die PO an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Denn die Aussicht, eine Minderheitsregierung zu stellen, die von der Unterstützung der linkspopulistischen Bauernpartei Samoobrona und der rechtsradikale Liga der polnischen Familien (LPR) abhängig wäre, wäre aus Sicht vieler PiS-Politikern höchst problematisch. Tatsächlich gibt es noch eine Chance für eine Einigung. Dem Liberalen Jan Rokita liegt viel daran, dass es doch noch zu einem Kompromiss kommt, denn er will unbedingt Innenminister und stellvertretender Regierungschef werden. So hatte er den Wahlkampf geführt. „Der Premierminister aus Krakau“ war sein Slogan. Doch Rokita und Marcinkiewicz haben nicht viel Zeit. Mittwoch nächster Woche verstreicht die Frist zur Regierungsbildung.
GABRIELE LESSER