Berliner Szenen: Weihnachtsbotschaft
Mexikanische Utopie
Sie hatte sich vorgenommen vorbeizukommen, weil wir uns eine Weile nicht gesehen hatten. Als sie abends anrief, ob ich da wäre, war sie ein bisschen enttäuscht, dass ich erst sagte, ich würde gleich ins Bett gehen, weil ich doch noch krank bin. Und als sie vor der Tür stand, war sie ein bisschen unsicher.
Sie hatte Essenssachen mitgebracht, Nudeln, Bananen, Tomatensoße, Bioschokolade und eine Mango. Wir waren beste Freunde bzw. Freundinnen. Als wir uns unterhielten, ging es mir gleich wieder besser. Wir lachten und hörten Musik; es war schön, endlich mal wieder Musik über Anlage zu hören; am Vormittag hatte ich mir einen neuen Stecker bei Conrad gekauft, nun funktionierte er einwandfrei, obgleich ich eigentlich davon ausgegangen war, dass der Anschluss am Laptop kaputt war.
Wir aßen Mango, und ich erzählte, wie ich Anfang der 90er in Kuba zum ersten Mal in meinem Leben eine Mango gegessen hatte und dass ich sofort sicher gewesen war: Das ist die beste Frucht der Welt. Und sie erzählte, wie sie neulich mit Freundinnen in einer queeren Bar gewesen war und wie sie rausgeschmissen worden waren, weil sie zu laut gewesen wären. Sie sagte: „Die mochten uns nicht, weil wir zu feminin aussahen.“ Aufgedonnerte Transmänner fänden sie super, Frauen in femininen Klamotten nicht so. Ich berichtete von dem netten Getränke-Hoffmann-Mitarbeiter, der mir eine Flasche Bier zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie erzählte von alten Frauen im Süden Mexikos, die immer gern in ihren Hütten Marihuana rauchen. Sie sprächen gerne junge Leute an und sagten dann „Komm, zu kiffen und fernsehen ist alles umsonst“.
Dies schien mir eine schöne Utopie zu sein, ich war sicher, dass es mir dort gefallen würde. Aber es war auch der Satz, der mir gut gefiel. Wie sie ihn sprach, war es eine Weihnachtsbotschaft. Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen