: Äußerst dehnbar
Die 26. Leverkusener Jazztage blicken zurück in die Musikgeschichte: Fusion und Prog-Rock stehen im Fokus, Jazz eher im Hintergrund – aber mit Erfolg
VON HOLGER PAULER
Die Ausrichter der Leverkusener Jazztage sahen den Begriff Jazz immer schon als äußerst dehnbar an: Fusion, Prog-Rock, World-Music oder Funk gehören seit eh und je zum Repertoire des Festivals. Später auch aus kommerziellem Kalkül: In den 1990er Jahren stand das Festival aus finanziellen Gründen vor dem Aus. Das Vordringen in „populäre Grenzbereiche des Jazz“ wurde damals zur Rettung der Jazztage beschworen. Erwartete 20.000 Besucher bilden dafür eine solide Basis. Es waren auch schon mal doppelt so viele.
Der musikalische Fokus geht in diesem Jahr verdächtig weit zurück – noch vor die Zeit der Festival-Gründung im Jahre 1980: Van der Graaf Generator, Soft Machine, Weather-Reporter Joe Zawinul oder Ex-Mahavishnu-Schlagzeuger Billy Cobham stehen auch 2005 auf der Bühne – doch wo bleibt der Nachwuchs? Vor allem die ersten beiden Formationen dürften für ungläubiges Staunen und hohe Erwartungen sorgen. Die britische Progressiv-Band „Van der Graaf Generator“ (vielleicht die Mutter aller Prog-Rocker) um Frontman Peter Hammill steht erstmals nach 28 Jahren Abstinenz wieder auf einer deutschen Bühne, und zwar in der Ur-Besetzung und mit der hochgelobten Comeback-Doppel-CD „Present“ im Gepäck. Das heißt: Rock meets Psychedelic meets Jazz meets Klassik. Parallel dazu wurden die alten Platten remastert und neu aufgelegt. Das Label „Prog-Rock“ brummt mal wieder. In der wievielten Auflage noch gleich?
Es kann nicht genug geben, denken sich zumindest die betagten Herren, die sich nach 25 Jahren Pause als Soft Machine wiedervereinigt haben. Von der ursprünglichen Besetzung ist niemand mehr dabei: Schlagzeuger Robert Wyatt – seit 30 Jahren querschnittsgelähmt im Rollstuhl – verfolgt weiter seine wunderbar verträumte und beispiellose Solokarriere, Kevin Ayers und Mike Ratledge tauchen nur noch sporadisch auf. Und Daevid Allen hat sich früh seiner Band Gong und diverser Nebenprojekte gewidmet.
Das Line-Up der Leverkusener Ausgabe der Psychedelic-Jazzrock-Supergroup liest sich dennoch spannend: Elton Dean (als sax, fender roles), John Etheridge (guitar), Hugh Hopper (bass) und John Marshall (drums). Vor allem Hopper (seit der zweiten Platte dabei) und Dean (third) waren für den Soft Machine-Sound der frühen 1970er Jahre prägend, was auf den zahlreichen Live-Mitschnitten zu hören ist, die Jahr für Jahr nachgeschoben werden. Das ist treibender Jazzrock mit psychedelischen Einflüssen, damals innovativ und auch heute noch „garantiert staubfrei“. Aber auch der Rest des Programms dürfte die Musikfans erfreuen: Das mit Preisen dekorierte Esbjörn Svensson Trio, die Funk-Band Tower of Power, Rock-Chanteuse Marianne Faithfull, Ex-Zappa-Drummer Terry Bozzio, der französische Schlagzeuger Manu Katché mit seinem Electric-Funk-Quartett oder Wolfgang Haffner mit seiner Band Agamsaal sind allesamt Bands und Musiker, die in den vergangenen Jahren für Furore gesorgt haben – in Leverkusen und anderswo. Die Veranstalter gehen auf Nummer sicher und locken die Besucher mit bekannten und berechenbaren Namen nach Leverkusen. Experimente sucht man hingegen vergeblich. Aber dafür sind ja auch andere Festivals zuständig.
Leverkusener Jazztage 3. bis 12. November 2005www.leverkusener-jazztage.de