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Die Thermik der Pärchenwelten

PREMIERE Die Inszenierung „Wir sind keine Barbaren“ am Stadttheater Bremerhaven hätte eine Gesellschaftssatire werden können – ist am Ende aber leider auch politisch gescheitert

Was wir von dem Fremden, wohl ein Flüchtling, wissen, sind Projektionen

Sie sind glatter Durchschnitt, die beiden Paare, die durch Zufall zur Nachbarschaft verurteilt sind, mehr oder minder saturiert, kinderlos zusammenlebend, das Heil in der Selbstverwirklichung suchend. Mario bastelt an Motorengeräuschen für Elektroautos, Barbara kocht im veganen Restaurant. Linda und Paul sind in der Balzphase, er ein etwas schlichter Macho, sie kreischvitale Fitnesstrainerin.

Nächstens klopft es an der Tür, und draußen steht ein Fremder, offenbar ein Flüchtling. Paul schickt ihn weg, Barbara nimmt ihn auf, Mario lässt die gute Geste eher über sich ergehen. Er hat schließlich gerade Barbaras Geburtstag vermasselt, weil er ihr – statt des heiß ersehnten Klapprads – einen gigantischen Flachbildfernseher geschenkt hat, der in Bremerhaven die Bühne überschattet wie das rätselhafte schwarze Objekt aus Kubricks „Odyssee im Weltraum“. Und damit die Rätselhaftigkeit des Fremden spiegelt, der in „Wir sind keine Barbaren“ von Philipp Löhle im Zentrum zu stehen scheint, aber vor allem durch Abwesenheit glänzt, trotzdem oder gerade weil er die Thermik der Pärchenwelten bis zum Äußersten anheizt.

Sie können ja nicht einmal so genau sagen, wie er heißt, woher er kommt, ja nicht einmal, wie er aussieht. Was wir von ihm wissen, sind Projektionen – in seinen dunklen Augen der Schmerz der ganze Welt, sein Körper repräsentiert eine Ursprünglichkeit, die auch erotisch ist, er verkörpert aber auch unsere Furcht, als imperialistischer Westen eines Tages die Rache der Dritten Welt fürchten zu müssen. Weshalb sich Paul einen Schutzraum in die Wohnung baut – klein, aber sein. So unangemessen für das, was da kommen mag, wie der Versuch einer Gesellschaft, sich abzuschotten gegen die Scharen der um ihr Leben Flüchtenden.

Dass es zu einem Mord kommt, der – versteht sich – dem Fremden zur Last gelegt wird, ohne dass es dafür einen Beweis gäbe, führt schnurstracks zum krawalligen Höhepunkt des Stücks. Was durchaus eine Gesellschaftssatire im Sinne Yasmina Rezas hätte werden können, wenn Löhle seinen Figuren vertraut hätte. Als wären die nicht schon deutlich genug Spiegelbild unserer Gesellschaft, lässt der Autor auch noch einen Bürgerchor antreten, der – durchaus nicht ohne Witz – Temperatur nimmt, per statistischer Daten über uns Deutsche, aber auch soziopsychologisch.

Tim Egloff, der am Stadttheater zuletzt mit den „7 Todsünden“ bewiesen hat, dass er zeitgenössische Stoffe mit Fingerspitzengefühl inszenieren kann, scheint auch nicht mehr Vertrauen die Dialogstrategie Löhles zu haben als der Autor selbst. Anstatt dem Stück die Gelegenheit zu geben, von innen heraus zu eskalieren, treibt er das vierköpfige Ensemble von der ersten Szene an in Hysterie, sodass sich jegliche Identifikation mit diesen Figuren verbietet. Dazwischen lässt er brachial den erfreulich solide einstudierten Laienchor skandieren. Zweideutigkeiten sind nicht vorgesehen.

Dass Andreas Möckel (als Mario), Jennifer Sabel (Barbara), Sascha Maria Icks (Linda) und Andreas Hammer (Paul) auch anders können, könnte man da beinahe vergessen, gäbe es nicht den Schluss, in dem Sabel als Barbaras Schwester die Selbstgewissheiten der Protagonisten als das entblößt, was sie sind: die mörderische letzte Konsequenz einer Denkart, die nicht nur diese Karikaturen pflegen, die uns hier vorgeführt werden. In diesem Sinne ist die Inszenierung leider dann auch politisch gescheitert. Andreas Schnell

29. 12. und 8. 1., 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven

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