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Archiv-Artikel

Weg von der Droge Öl

TRANSITIONSBEWEGUNG In Berlin-Friedrichshain und anderswo wollen Menschen ihre Kommune aufs postfossile Zeitalter vorbereiten

Ölsucht führt zu „postfossilen Belastungsstörungen“

BERLIN taz | Berlin-Friedrichshain, Kreutzigerstraße: ein bunt bemaltes, ehemals besetztes Haus. In der Nähe tobt der Autoverkehr über die Frankfurter Allee. Und hier, in diesem kleinen Laden, soll eine weltumspannende Bewegung zu Hause sein? Genauer: das Transition Town Movement, das Kommunen auf die postfossile Zeit vorbereitet?

Der strubbelige Jan Fischer, den alle nur „Kipper“ nennen, grient, schält sich aus dem Dunkeln und beginnt zu erklären. Überall stehen Bücher, in denen es unter anderem um den Peak Oil geht, den Höhepunkt der Ölförderung, der womöglich bereits überschritten ist.

Was würde passieren, wenn es kein Öl mehr gäbe? Wie können wir unsere Kommune auf diesen Zeitpunkt vorbereiten? Diese Frage, erklärt Kipper, stand am Anfang jener Bewegung, die inzwischen weltweit rund 250 Energiewende-Gemeinden umfasst. Die meisten davon gibt es in Großbritannien, aber auch in Australien, Neuseeland, Japan, USA, Kanada, Chile, Finnland, Italien, Österreich und den Niederlanden haben sich Kommunen angeschlossen. In Deutschland sind es Berlin-Friedrichshain und Bielefeld.

Garten mit Sonnenfalle

Kipper hat früher in einem Stasiknast gesessen, nach der Wende reiste er durch Afrika und ließ sich zum Permakulturdesigner ausbilden. Perma… was? „Permakultur“, erklärt er geduldig, stehe für permanente Agrarkultur – verkürzt gesagt, sei das Ökolandbau plus vernetzter Lebensräume. Ein Waldrandgarten mit „Sonnenfalle“ etwa, in der sich ein warmes Mikroklima bilden kann. Auch hier in Friedrichshain? „Na ja, nicht ganz.“

Hinter dem Laden öffnet sich einladend ein wilder Garten, mit Tischen unter Bäumen, Spielgeräten, drehbarer Komposttrommel. Im Hauskeller der „Selbstverwalteten Ostberliner Genossinnenschaft“ summt ein hocheffizientes Miniblockheizkraftwerk, das Wärme und Strom aus Gas herstellt. Wasserspeicher sammeln Regenwasser für die Waschmaschinen, auf dem Dach arbeiten Solaranlagen. Zudem sind die Transitionsbewegten in verschiedenen lokalen Gruppierungen aktiv, kämpfen für einen neuen Park oder organisieren Stadtteilfeste.

Beginn in Irland

Auch der Ire Rob Hopkins, der die Energiewendebewegung gegründet hat, war ein Permakulturalist, erzählt Kipper. Seine erste Initiative begann er im irischen Kinsale, eine zweite Ende 2005 im südenglischen Totnes. „Can you imagine this community without oil?“, fragte er und versuchte den „lokalen Genius“ der 8.000 Einwohner mit Veranstaltungen und Workshops zu mobilisieren. Das gelang. Supermärkte und Cafés bieten inzwischen eine Vielzahl regionaler Produkte an. Im September 2007 erklärte die Bürgermeisterin Totnes offiziell zur „Energiewendestadt“, sogar eine lokale Währung wurde eingeführt.

Vordenker Rob Hopkins kommt es darauf an, Kommunen gegen den kommenden Ölpreisschock resilient zu machen, sinngemäß übersetzt: „elastisch krisenfest“. Öl sei ein Suchtmittel der heutigen Gesellschaft und führe zu „postfossilen Belastungsstörungen“. Emotionalen Abwehrreaktionen zum Beispiel auf die Forderung, das Autofahren zu reduzieren. Visionen für das Leben nach dem Öl aber wirkten wie eine „prätraumatische Therapie“: Neue Lebensmöglichkeiten zu entdecken mache Spaß, so Hopkins.

In Friedrichshain pflegt Kipper eine spezielle Therapieform: Nord-Süd-Partnerschaften – die Verbindung zu Kommunen in südlichen Ländern. Natürlich gibt es dafür auch einen Verein: „Soned“ – ausgeschrieben „Southern Networks for Environment and Development“. Friedrichshain steht in Kontakt mit Mitstreitern in Kenia, Nigeria und Burkina Faso. Und an einem der kommenden Abende im Rahmen der Veranstaltungsreihe der Energiewende-Initiative will er thematisieren, ob man die seit vielen Jahren bestehende Städtepartnerschaft zwischen Kreuzberg-Friedrichshain und St. Rafael del Sur in Nicaragua mit Transitionsideen bereichern könnte.

Und wenn das alles nicht reicht, um die Klimakatastrophe aufzuhalten? Totnes antwortet mit schwarzem Humor und bietet Bestattungen in Särgen aus Recyclingpappe an. UTE SCHEUB

www.transitiontowns.org, http://soned.de