: Jukebox - Der musikalische Aszendent
Die Kanalarbeiter der Geschichtsschreibung
Das zuerst: Natürlich haben auch Deutsche den Hüftschwung. Manche. Was man wohl immer mal beweisen muss.
Es geht um die Goldsucher. Fiebrige Hände, freudig schlagendes Herz, wenn wieder so ein musikalischer Schatz geborgen werden konnte, der im Normalfall nienienicht ein Hit war. Auf diesem Terrain ist die Geschäftslage einfach: Man nimmt eine bekannte Band, klaubt sich deren Lieder aus der Hitparade, schreibt „Greatest Hits“ aufs Cover. Fertig ist die Archivverwertung. Ohne Herz. Ein Sampler wie der Nebenstehende braucht da schon mehr an Spucke, bis man die Songs zusammenhat, in denen es um Tod oder Protest geht, und dazu ein paar Obskuritäten packt, die sich als Antwort auf irgendwelche Hits verstehen. Was in dieser Zusammenstellung natürlich an allen verfügbaren Haaren herbeigezogen ist. Genauso gut könnte man sich eine Kompilation nur mit Liedern vorstellen, deren fünfter Buchstabe ein D ist. D wie „Das sind meine Lieblingslieder“.
Solche Sampler sind eine Sache der Leidenschaft. Von Menschen, die sich ihre Häufchen machen und die Scheiben hin- und wieder herschieben und die die Welt so umsortieren, bis sie endlich zu einer besseren Welt geworden ist. Dafür nehmen sie alle Schlechtigkeiten auf sich. Sie tauchen durch die Kanalisation der Vergangenheit, sie hören sich durch den ganzen Schmutz und Schund. Schon eine heroische Tat. Tatsächlich lässt sich mit genügend B-Seiten selbst aus dem Bestand des deutschen Schlagers ein Sampler zusammenstellen, auf den sogar Motown neidisch wäre. Nur ist das dann nicht mehr die Geschichte des deutschen Schlagers.
So eine verdienstvolle Sache wird auch am Samstag im Mudd-Club mit der Release-Party eines neuen Samplers befeiert, der „Hip Shaking Grooves Made In Germany“ verspricht und sich „The In-Kraut“ nennt: ein Wortspiel mit dem Song „‚In‘ Crowd“, den schon Petula Clark gesungen hat. Krautrock ist auf dem Album auch gar nicht zu finden, sondern Easy-Listening-Knaller von Hilde Knef, dem Orchester Werner Müller oder Günter Noris, die durchaus beweisen können, dass Deutschland zwischen 1966 und 74 eine swinging Angelegenheit war. Manchmal hatte man den Hüftschwung. Meistens nicht. Die alte Single: Geschichtsschreibung/Geschichtsfälschung. Im Rückblick wird alles besser. Muss aus gegebenem Anlass nur davor gewarnt werden, sich mit Helmut-Zacharias-Platten einzudecken. Das meiste des Zaubergeigers ist doch eher Schrott. THOMAS MAUCH