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Warum so unschuldig?

KONFLIKTESchuld zu habenist gar nicht so schlimm. Es kann sogar dabei helfen, aus dem Streitkarussell auszusteigen

Menschen machen Fehler. Wir brechen Versprechen, sind ständig zu spät und lügen, was das Zeug hält. Was folgt, sind Vorwürfe. Unerhört! Dabei ist unser Gegenüber sicher auch kein Unschuldslamm. Wir antworten auf Schuldzuweisung mit Schuldzuweisung – so entsteht ein Schuld-Ping-Pong, das ewig andauern kann. Wäre Streiten nur nicht so anstrengend ...

Eine weiße Weste zu wahren ist verlockend. Um unsere Unschuld zu beweisen, verstricken wir uns in heftige Konflikte. Wie schön wäre eine goldene Regel, um den Streit zu beenden? Eine Anleitung zum Unschuldigsein?

Als Konfliktberater gehören Schuldfragen zum Alltagsgeschäft von Fritz Simon. An ihn wenden sich Freunde, die seit 19 Jahren nicht miteinander reden, zerstrittene Familien und Ehepaare, die an Vorwürfen zu zerbrechen drohen. Nach Jahren im Streitgefecht weiß Simon, dass gegenseitige Schuldzuweisung typisch ist. Der andere soll sich ändern, das eigene Gewissen beruhigt werden. „Anderen die Schuld zu geben ist schlicht und einfach dumm“, sagt Simon. Denn so macht man sich abhängig, gibt Verantwortung ab.

Aber was rät er dann? „Ich frage beide: Was können Sie tun, um den Konflikt aufrecht zu erhalten?“ Und wozu das Ganze? „Wir merken so, das Problem ist hausgemacht. Wir erhalten Konflikte aufrecht.“ Macht man sich das bewusst, wird klar: Das eigene Verhalten kann den Streit befeuern – oder ihn beenden. „Wer sich Schuld eingesteht, entscheidet meist, nichts weiter zur Eskalation des Konflikts beizutragen“, so Simon. Der Streit ist vorbei.

Einfach ist das nicht. Es erfordert Reflexion und Selbstbeherrschung, Groll und Stolz runterzuschlucken und nach der eigenen Schuld zu suchen. Und gerade in Konflikten geht es selten besonnen zu. Man muss sich wohl von der Idee verabschieden, den Konfliktpartner von der eigenen Unschuld zu überzeugen.

Das sei aber auch gar nicht sinnvoll, so Simon. Jeder legt sich seine Geschichte zurecht: Sogar Mörder halten sich häufig für unschuldig. Er erzählt von einem Notar, der seine Ehefrau tötete. Vor Gericht beklagte er später: „Auch das hat sie mir noch angetan.“ Er sah sich nur noch als Reagierender. „Unschuld heißt, machtlos zu sein“, erklärt Simon. Wer will das schon. Nur wer sich seiner Schuld bewusst wird, kann den Konflikt steuern. Empowerment nennt Simon das.

Er erzählt von alten Flipperautomaten, auf denen ‚It’s more fun to compete‘ stand. „Konflikte sind auch ein Spiel“, sagt Simon. Damit nimmt er der Schuldfrage die Schwere. Sich von der eigenen Unschuld zu lösen ist der Ausstieg aus dem Spiel, die Rettung aus der Schuldfalle. Und dann tut es auch eine glaubhafte Entschuldigung.

Antonia Drews und Sara Ziaabadi

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